Ein kurzer Blick in die Geschichte: Vor rund 3.000
Jahren erstreckte sich Grossgriechenland um
das Mittelmeer ueber ausgedehnte Landstriche, in denen ausgewanderte
Griechen
Staedte gegruendet hatten, die sich meist durch eine klare innere
Struktur und
regen Seehandel auszeichneten. So war es auch bei einer Stadt namens
Phocaea,
einer sehr fruehen Kolonie Athens, die im Gebiet der heutigen Tuerkei
lag.
Im Jahre 540 v. Chr. mussten deren Bewohner vor
den
einfallenden Persern fliehen. Als seefahrende Haendler waehlten die
Fluechtlinge
den Weg ueber das Meer und verloren vor Korsika erst einmal die Haelfte
ihrer
Flotte im Kampf gegen die Karthager und Etrusker. Immigranten, auch
sehr kluge
und sehr tuechtige, waren schon in der Antike eher selten beliebt.
Die geschlagenen Fluechtlinge aus Phocaea fanden
schliesslich
neue Heimat im heutigen Marseille, aber auch und vor allem in einem
Fischernest
an der Westkueste Italiens, welches sie in das namensgebende Elea
umbenannten.
Der Ausbau des Fischernests zu einer Stadt wurde
durch eine
vermutlich genossenschaftlich organisierte Ziegelei gesichert, denn
baubarer
Stein war rar an der Kueste. Guten, tonhaltigen Lehm gab es dagegen
reichlich
an der Muendung jenes Flusses, der die Stadt Elea in der Versorgung mit
Suesswasser
autark machte und der zugleich einen natuerlichen Hafen bot. Gute
Voraussetzungen fuer einen Neuanfang.
Entscheidender aber war, dass sich Elea mit einer
Verfassung, auf die die Einwohner jedes Jahr schworen, frei von Streit
nach
innen und Krieg nach aussen entwickelte. Die so erreichte Balance aus
erfolgreichem Handel und gesichertem Frieden – also in etwa das, was
man heute
wieder anstrebt –, ergaenzt durch neues Wissen, das ein weitreichender
Seehandel als kostenlose Beifracht anlandete, machten sich bald mit
schnellem
Fortschritt im Denken bemerkbar:
Zur gleichen Zeit, als der Buddhismus in Indien
entstand,
der lehrt, dass die Erscheinungen leer sind, gelang es den Vordenkern
aus Elea,
die wichtigsten Grundlagen der europaeischen Philosophie zu entwickeln.
Grundlagen, die darauf beruhten, mit dem Denken die richtigen Schluesse
ziehen
zu koennen. Eine europaeische Mathematik des Denkens deutete sich an.
Parallel dazu wurde auch Eleas Schule moderner Heilkunst, die bereits moderne Baederverfahren und wohl auch Hypnose nutzte, so beruehmt, dass die erste medizinische Fakultaet Europas, die etwa 1.500 Jahre spaeter im nahen Salerno entstand, in Elea ihre tiefsten Wurzeln fand.
Wichtig fuer den Fortschritt im Hinblick auf die Philosophie war, dass die fuehrenden Denker Eleas – Xenophanes, ein weit gereister Lyriker; Parmenides, ein von Pythagoreern erzogener Mystiker, und Zenon, als beider Schueler – eine fuer unseren Kulturkreis revolutionaere Lehre aus der Taufe hoben, zu der aber leider kaum noch originaeres Schriftgut existiert.Der Kern dieser Lehre:
Die Welt existiert in gleichzeitigen und in sich
abgeschlossenen, statischen
Zustaenden in Folge, die die Weltideen eines ursaechlichen Geistes
abbilden,
der ohne Raum und Zeit und daher auch frei von Veraenderung existiert.
Werden
und Vergehen seien dem EINEN in weite Ferne geschlagen, heisst es bei
Parmenides. Ein „Fluch“ der besonderen Art, der hier angedeutet wird:
Als geistige Einheit, in einer nicht nach Raum und
Zeit
teilbaren Existenz, ist fuer das EINE alles, was es auch nur aus der
eigenen
Existenz zu wissen gibt, bereits gewusst. Das EINE erstarrt somit in
dem von
ihm Gewussten. Parmenides sieht das EINE, denn auch in seinem Traum von
der
Wahrheit „in schweren Fesseln“ liegen. Rettung aus diesem Erstarren im
Gewussten waere laut Logik dann moeglich, wenn das EINE sich eine
Existenz in
Zeit und Raum ertraeumt. Eine scheinbar stoffliche Welt.
Diese Welt, zu der nur die Prinzipien ihrer
Existenz
vorgegeben sind und die sich daher aus kleinsten Anfaengen entwickelt,
koennte
das EINE als selbstvergessener Teilnehmer seines Traums von einer
materiellen Existenz in allem, was diese Welt durch Zufall
hervorbringt,
durchleben - als waere es das eigene Leben. Zweifel koennten
nicht aufkommen, so wenig wie auch wir in einem tiefen Traum erkennen,
dass wir
selbst die Ursache dieses Erlebens sind. Bis wir aus dem Traum erwachen
und
verwundert sind ueber das, was wir gerade „als unser Leben“ erlebt
haben.
Das EINE wuerde in seinem Traum von eine Universum
mit Zeit
und Raum erkennen, was alles aus ihm unter diesen neuen Umstaenden
entstehen kann.
Was sich als der Kern seines Seins herausschält. Das EINE wuerde
Erfahrungen zu sich gewinnen, die es
auf keine andere Weise gewinnen koennte und sich mit diesen Erfahrungen
weiter vervollkommnen.
Der Mensch als ein zufaelliger, aber bewusster
Teilnehmer dieses Traums von
einer materiellen Existenz darf sich unter diesen Umstaenden als ein
„Kind Gottes
auf
Landurlaub“ verstehen. Als ein Geschoepf, das mit den aus einem
koerperlichen Leben gewonnenen Erfahrungen
nach dem Tod des dafuer notwendigen Koerpers wieder in der Einheit des
ewigen
EINEN, in dessen zeitlosen, unsterblichen Geist, aufgeht. Womit es die
Schoepfung so erlebt, als
seien alle Leben seine Leben. Ein
Vervollkommnungsakt von solcher Tiefe und Groesse, gegen den die
geglaubten Goetter und
Teufel sofort verblassen. Der Tod als eine Bereicherung
Erfahrbar ist diese Bereicherung von uns
allerdings erst nach dem Leid, das eine koerperlich erlebte
Existenz in der Freiheit ihrer Entwicklung notwendig mit sich bringt.
Von alltaeglichen
Leiden bis zum Atomkrieg. Das EINE wird in solch ein Leiden nicht
eingreifen,
so furchtbar es auch sein mag, denn damit wuerde es den Traum aufgeben,
die
erlebte Schoepfung. Das EINE wuerde wieder auf sich selbst
zurueckfallen und
auf weitere Erfahrungen verzichten. Womit die Frage der Theodizee, die
Frage
zur Verantwortung eines Gottes fuer seine Schoepfung, eine Antwort
erhaelt.
Die Folgen dieser neuen Lehre, in der der Mensch
als ein
„Sohn Gottes“ erscheint, dem die alten Goetter nichts mehr gelten
koennen,
waren absehbar: Jeder Herrscher oder Priester, der sich als Vertreter
eines von
ihm favorisierten Herrschergottes sah, musste in der neuen Lehre eine
Gefahr
erkennen. Sokrates etwa, der ein halbes Menschenalter nach den Eleaten
lebte,
war von deren Lehre beeinflusst und hatte sie durch eigene Gedanken zur
Ethik
ergaenzt. Ihm, dem klugen Philosophen, warf man bald aufruehrerisches
Gedankengut, Verfuehrung der Jugend und die Einfuehrung eigener Goetter
vor.
Man verurteilte ihn zum Tode, empfahl ihm aber,
wohl aus
Respekt vor seiner Persoenlichkeit, den Schierlingsbecher zu trinken,
statt von
fremder Hand gerichtet zu werden. Sein Schueler Platon, der ihm
beistand, aber
auch alle anderen, die nicht abgeneigt waren, die Lehre der Eleaten zu
vertreten, wurden vorsichtiger: Schrifttum wurde versteckt und die
Lehre nicht
mehr oeffentlich gemacht. Platon erwies den Eleaten dennoch letzte
Ehre, indem
er deren Lehre in seinem Hoehlengleichnis verarbeitete:
Es verweist auf eine Welt, deren Materie Schatten
gleicht,
die von symbolhaft dargestellten Ideen geworfen werden, wenn das Licht
aus dem
Hoehleneingang auf sie trifft und sie als Schatten auf die
Hoehlenwaende
projiziert. Doch wer dieses Geheimnis der substanzlosen Schatten
entdeckte, der
sollte von jenen, die es gelernt hatten, die Schattenwelt mit Mitteln
der
Statistik vorherzusagen, erst verlacht, dann verfolgt und am Ende gar
getoetet
werden.
Diesen Hintergrund zur Lehre von Elea, die sich
500 Jahre spaeter in der Lehre eines Jesus von Nazareth wiederfindet,
der Menschen als Kinder Gottes verstand, die mit dem Tode zu ihrem
Ursprung , ihrer eigentlichen und unsterblichen Existenz im EINEN
zurückkehren, muss man sich ein wenig intuitiv erschliessen. Aus den
wenigen Bruchstuecken von Gedichten
und
verschwiegenen Kommentaren der Zeitgenossen der Eleaten. Vor allem aber
aus
Interpretationen dieser Texte aus dem englischsprachigen Raum. Da meint
man
zuweilen, einem ganz anderen Elea zu begegnen.