Neue Antworten auf viel zu alte Fragen
- Neuveröffentlichung eines Aufsatzes von 2006 -
© 2007 Dieter M. Schulz-Hoos, München
Die Meinungen des Menschen zu dem, was seinen Verstand, sein Bewusstsein und sein Ich ausmachen, sind so vielfältig und teils „schillernd", dass es eine Lebensaufgabe sein könnte, all diese Ansichten einmal nebeneinander, als Synopse der größten Widersprüche im Denken des Menschen, aufzulisten.
Dieser Aufsatz hier will mehr. Er will deutlich machen, dass das Bewusstsein des Menschen kein Mysterium, sondern eine eindeutig herleitbare Größe ist, wenn man sich nur die Mühe macht, zunächst unser Verhalten im Alltag etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Dann zeigt sich, dass wir in unserem Verhalten von Entscheidungen gelenkt werden, die nicht einmal zu einem Prozent unserem bewussten Denken entstammen. Vielmehr folgen wir zu 99 Prozent den Vorgaben einer Instanz, die unsere Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalte zu Ergebnissen kombiniert, die unmittelbar unser Verhalten steuern.
Ein autonomer Urverstand, der als Weiterentwicklung der Instinkte die höheren Tiere schon seit Jahrmillionen ihre Welt verstehen lässt, ohne dass sie dafür denken müssten. Eine klar definierbare, durchschaubare Intelligenz, die wir aber bis heute übersehen.
Und so, wie dieser Urverstand die leicht herleitbare Weiterentwicklung der Instinkte ist, so stellt Denken eine evolutionär gefundene Weiterentwicklung des Urverstandes dar. Die nicht steuerbare "Programmintelligenz" Urverstand wurde durch eine steuerbare Intelligenz ergänzt - durch das erlernbare Tagträumen in Gefühl und Bildern, später auch in Begriffen und Sätzen. Denken eben.
So betrachtet sind wir Menschen eine Art evolutionär gefundene "Dreifaltigkeit": Wir verfügen über die uralten, meist verdeckten Instinkte; über die Urteile des autonom arbeitenden Urverstandes und wir verfügen zusätzlich über ein Denken, mit dem sich die Verhaltensvorgaben der beiden älteren Institutionen in Frage stellen lassen.
Unser Ich ist bei dieser Herleitung menschlichen Geistes keine eigenständige Größe mehr, sondern dieses Ich ergibt sich als gefühltes Bewusstsein aus der Überschneidung von Instinkt, Urverstand und Denken. Ein Ich, das durch diese Polarität eine besondere Dynamik, Individualität und Einzigartigkeit erfährt.
Die Probe aufs Exempel zu dieser Herleitung des menschlichen Bewusstseins liefert am Ende des Aufsatzes die Hypnose. Jener Sonderzustand des Bewusstseins, in dem wir über außergewöhnliche körperliche und geistige Fähigkeiten verfügen, in dem wir sehr kritiklos glauben, alles zu sein, was man uns suggeriert und in dem sich, gut dokumentiert, der empfindliche Geist des Menschen besonders schonend heilen lässt. Und lassen sich nun diese Phänomene in Ursache und Wirkung mit der Struktur, mit der hier aufgezeigten Genealogie des menschlichen Geistes widerspruchsfrei erklären, so mag dies als Indiz für die Richtigkeit und Wichtigkeit dieses Aufsatzes gelten.
Doch das ist bereits das Ende. Den Anfang dieses Aufsatzes bildet, fast traditionell bei der Erörterung von Bewusstsein und Hypnose, ein kleiner Selbstversuch:
Schließen Sie einmal für einen Moment die Augen, drehen sie sich zu einem Fenster und beobachten Sie nun im Augenöffnen, wie schnell Sie das, was Sie gerade sehen, sprachlich benennen, wie schnell Sie also die wahrgenommene Welt mittels bewusster Kombination des Gesehenen zum Ausdruck bringen können. Das Ergebnis:
Unter 3 Sekunden wird ihnen die Benennung der Welt mit sprachlichem Denken nicht gelingen. Unter drei Sekunden ist Ihnen auch keine Kombination des Gesehenen zu einem bedeutsamen Eindruck möglich. Trotzdem erkennen Sie auf den ersten Blick, dass das Auto, das da auf die Kreuzung zufährt, jetzt schnell bremsen muss. Ein in der Wahrnehmung enthaltenes Wissen, das Ihnen sofort mit dem Augenöffnen und damit weit schneller zukommt, als es durch Nachdenken auch nur ansatzweise möglich wäre.
Passend dazu hat der Münchner Gehirnforscher Ernst Poeppel herausgefunden, dass es zwar nur 0,03 Sekunden dauert, bis die beim Sehen im Gehirn eintreffenden Informationen zu einem Gegenwartseindruck verarbeitet sind, dass es aber die 100fache Zeit braucht, rund 3 Sekunden, bis sich der Mensch mittels seines Denkens in diese Gegenwart eingeordnet hat.
Weshalb Aktivitäten, die der Mensch aus Anlass des bewussten Denkens erledigt, vom Trinken eines guten Schlucks Wein bis zum Vorsprechen von Versen, laut Poeppel in einem für Menschen typischen Drei-Sekunden-Rhythmus geschehen.
Selbstversuch und Hirnforschung zeigen somit, dass der Mensch sein Denken in puncto Schnelligkeit zumeist weit überschätzt. Zwar glauben wir alle, dass wir unser Verhalten mit dem Denken veranlassen, doch für die meisten Wechselfälle des Lebens ist das Denken mit Drei-Sekunden-Entschlüssen viel zu langsam.
Oft brauchen wir unser Denken für ein angepasst richtiges Verhalten auch garnicht. Beispiel:
Wir fahren mit dem Auto durch die belebte Stadt, weil wir den Anwalt treffen wollen, mit dem wir unser neues, von den Handwerkern falsch gebaute Haus vor Gericht zur Sprache bringen wollen. Wir sehen auch schon die zerknirschten Handwerker nach dem ungnädigen Richterspruch vor uns, wie sie den Pfusch wieder herausreißen. Und dann, mitten im erlebten Erfolg dieser Wiedergutmachaktion, da "erwachen" wir aus unseren Zukunftsgedanken, stehen mit dem Auto bereits vor dem Haus des Anwalts und müssen uns nur noch bewusst für einen von drei freien Parkplätzen entscheiden.
Eine Autofahrt, die nicht von unserem Denken gesteuert wurde, denn das war ja bis zum Eintreffen beim Anwalt, im Haus, vor Gericht und noch sonst wo unterwegs. Wir sahen und fühlten eine innere Realität, einen Tagtraum, während "jemand anders" die äußere Realitäe wahrnahm und den Wagen sicher durch die belebte Stadt steuerte. Nur bei mehrdeutigen Situationen sind wir vielleicht einmal kurz mit unserem Denken im Auto gewesen. So wie ganz zum Schluss, bei der Wahl eines von drei freien und gleichwertigen Parkplätzen, wo eine freie, von keiner Logik abhängige Entscheidung zu treffen war.
Doch was, wenn schon nicht das Denken, hat uns heil durch den Verkehr gebracht? Wer dirigierte unseren Körper genauso gut wie das Denken - nur weitaus schneller?
Erklären könnten das "denkblinde Autofahren" erworbene Automatismen. Erlernte und trainierte Verhaltensmuster, die auf bestimmte Wahrnehmungsinhalte hin ohne unser bewusstes Zutun ablaufen und dann schalten, lenken, bremsen.
Doch diese Meinung hat ein Problem, denn wären es tatsächlich Wahrnehmungsinhalte an sich, die diese Automatismen auslösten, so wäre wohl jeder in Gedanken versunkene und dabei autofahrende Mensch ein in seinen Automatismen völlig sinnlos zuckendes Bündel, denn fast jede Sinneswahrnehmung weist immer gleich dutzende Inhalte auf, die einen der Automatismen auslösen könnten. Wir bremsen aber beim Autofahren, ohne nachzudenken nicht für jeden Fußgänger oder Radfahrer, den wir sehen, sondern nur für diejenigen, die uns ansonsten in einer erwartbaren Zukunft vor dem Auto liegen würden.
Der denkblinde Fahrer reagiert also nicht auf Wahrnehmungsinhalte an sich, vielmehr wird hier eine virtuelle, nur mit der Logik erwartbare, aber noch nicht wahrnehmbare Zukunft berücksichtigt. Eine Zukunft, die aus der Gegenwart als Erkenntnis abgeleitet werden muss. Und erst diese Erkenntnis zur logisch erwartbaren Zukunft ist es dann, die den schnellen, aber blinden Automatismen "die Augen öffnet" und sie in Aktion treten lässt. - Ein anderes Beispiel, bei dem auch unser Denken mit von der Partie ist:
Sehen wir einen Hammer, dann wissen wir bereits im Moment der Wahrnehmung und ohne nachzudenken, um was es sich dabei handelt: Dass dieses Ding schwer ist und dass es, wenn es runterfällt, Schmerzen zur Folge hat, wenn es unsere Zehen trifft. Worauf etwas in uns blitzschnell den Fuss wegzieht, bevor wir drei Sekunden später auch mit dem Denken zu dem Schluss kommen, dass es gut war, dass "wir" so schnell den Fuß weggezogen haben. Und erstaunlich ist nun folgendes:
Obwohl wir in diesem Fall sehr gut nachvollziehen könnten, dass unser Denken der Fuß schonenden Aktion um Sekunden hinterherhinkte, so glauben wir dennoch, unser Denken hätte die schmerzhafte Zukunft vorausgesehen und daher den Befehl zum Wegziehen gegeben. Eine glatte Fehlannahme, doch es kommt noch "schlimmer":
Betrachten Wissenschaftler unseren Alltag, so fällt ihnen auf, dass wir tatsächlich unter einem Prozent unseres Verhaltens mit dem bewussten Denken steuern. Zwar mag unser Denken zuweilen der Anlass sein, etwas ganz Bestimmtes zu tun, etwa einen Kasten Bier zu kaufen, aber kaum ist diese bewusste Entscheidung zu einem Verhalten gefällt, so ist das Denken wieder in seinen eigenen Welten unterwegs und überlässt die weitere Ausführung des Lebens einer Steuerung, die das auch ganz ohne das Denken kann.
Etwa indem uns diese Steuerung mit dem Auto sicher zum Getränkehändler fährt, während wir denkend den Grillabend vorbereiten, die braun-gebratenen Würstchen sehen, riechen und so den Grillabend schon einmal "vorweg genießen."
Doch nicht nur, wenn es um ein tätiges Verhalten geht, auch wenn es darauf ankommt die Umwelt, ein Tier, eine Person, eine Rasse, Gegenstände, Meinungen und letztlich alles nur denkbare alltagsschnell zu beurteilen, so fällen wir dieses Urteil nicht mit dem Denken, sondern überlassen es einer Größe in uns, die das viel schneller kann als das Denken. Es ist dann, als wären wir ein Bio-Roboter, der eine Seele im Kopf durch die Gegend trägt, die zuweilen auch einmal durch die Augen schaut, aber die meist mit sich selbst beschäftigt ist.
Automatismen sind es also nicht, die unseren Körper in seinem Verhalten steuern. Und das Denken ist es auch nicht, denn das ist zu langsam für eine schnell veränderliche und daher gefährliche Welt. Das Denken ist eher eine Art König, der in der Sänfte des Körpers durch die Welt getragen wird und der, wenn nicht gerade eitel mit sich selbst beschäftigt, gelegentlich Streitfälle entscheidet oder Anweisungen gibt.
In uns muss demnach eine eigenständige, eine autonome Art von Intelligenz existieren, die zusätzlich zu der bewusst erzeugbaren Intelligenz des Denkens vorhanden ist. Eine Intelligenz, die sich mit einem König des Denkens schmückt, diesen für das schnöde Alltagsgeschäft aber nicht benötigt. Und die beste Antwort, was es mit solch einer autonomen Intelligenz auf sich haben und wie diese im Prinzip funktionieren könnte, haben ausgerechnet die Erforscher der KI, der "künstlichen" Intelligenz gefunden. Sie erkannten, dass man auch ganz ohne Denken eine weltverstehende Intelligenz erzeugen kann. Durch das Gedächtnis und dessen Arbeitsprinzip.
Ein derartiges Gedächtnis speichert konkrete Wahrnehmungen nicht als "Filmchen aus der Welt" ab, sondern es werden zunächst nur die abstrakten Inhalte der aktuellen Wahrnehmung ermittelt und zusätzlich auch noch die Logik, die diese Inhalte miteinander verbindet. Nur diese abstrakten Inhalte und die dazugehörige Logik werden dann gespeichert. Beispiel: Die Wahrnehmung eines beliebigen Rades kann man auf die Form eines Kreisbogens mit einem Mittelpunkt reduzieren. Das sind die abstrakten Inhalte der Wahrnehmung. Und eine die Inhalte verbindende Logik lautet, dass sich der Kreisbogen um seinen Mittelpunkt drehen kann.
Und sind nun diese abstrakten Wahrnehmungsinhalte samt zugehöriger Logik im Gedächtnis abgespeichert, dann ist es dem Träger dieses Gedächtnisses in Zukunft möglich, jedes Rad dieser Welt als Rad zu erkennen. Ein Riesenrad so gut wie ein Zahnrad oder ein Karussell. Vereinfacht und als Prozess ausgedrückt geht das wie folgt vor sich:
Zunächst wird die aktuelle Wahrnehmung auf ihre abstrakten Inhalte reduziert. Diese können dann aufgrund der Abstraktheit wie Symbole besonders schnell und treffsicher den vorhandenen, ebenfalls abstrakten Gedächtnisinhalten zugeordnet werden. Und zusätzlich wird die Kombination aus wahrgenommenen und gedächtnishaften Inhalten noch um jene Logik ergänzt, die dazu im Gedächtnis vorliegt.
Auf diese Weise erhält jede aktuelle Wahrnehmung in Sekundenbruchteilen eine Art Randbeschreibung, die ihr eine von Logik und Erfahrung geprägte Bedeutung gibt, auf die der Körper blitzschnell reagiert. Denken ist dazu nicht erforderlich.
Wenn also die Frage lautet, was uns die Welt sofort mit dem Augenöffnen verstehen lässt und wer oder was unser Verhalten im Auto steuert, während wir an hübsche Mädchen denken, dann heißt die mögliche Antwort jetzt:
Dahinter steckt ein Gedächtnisprinzip! Ein Prinzip, bei dem Wahrnehmungen zunächst auf ihre abstrakten Inhalte reduziert, dann mit ebenfalls abstrakten Gedächtnisinhalten kombiniert und zusätzlich noch um die Logik ergänzt werden, die zu diesen Inhalten im Gedächtnis gespeichert ist.
So erhält jede Wahrnehmung für jedes Lebewesen ohne zu denken eine Bedeutung, die sich nach dem Inhalt seines ererbten und/oder erworbenen Gedächtnisses richtet. Tiere können sich daher - abseits der Instinkte - sehr klug verhalten. Ihr Gedächtnis und dessen Arbeitsprinzip macht sie klug, ohne dass sie dazu bewusst irgendetwas beitragen müssten oder könnten. Das zeigt auch das folgende Beispiel:
Eine junge Katze trifft auf einen Hund und wird von ihm gebissen. Diese Katze wird in Zukunft jeden Hund als Feind erkennen, obwohl alle diese Hunde immer völlig anders aussehen werden. Die Identität der abstrakten Merkmale in Wahrnehmung und Gedächtnis kompensiert die Ungleichheit in der konkreten Erscheinung. Die Katze lernt so aus einem einzigen Zwischenfall für unzählige inhaltlich-logisch ähnliche. Oder anders betrachtet: Das Lernen schreitet mit solch einem Gedächtnis millionenfach schneller voran, als es mit einem konkret erinnernden Gedächtnis möglich wäre.
Gleichartiges muss aufgrund der Abstraktion auch nur ein einziges Mal abgespeichert werden, um danach für unzählige Wahrnehmungen als inhaltlich-logische Ergänzung zur Verfügung zu stehen. Das spart Speicherplatz, Hirnkapazität, denn so, wie man mit wenigen abstrakten Ziffern die Welt für unendlich viele konkrete Fälle voraussagen, berechnen kann, so können mit abstrakten Gedächtnisinhalten unendlich viele konkrete Wahrnehmungen um eine logisch erwartbare Zukunft ergänzt werden. Nicht bewusst, sondern als Folge einer logischen Verknüpfung der abstrakten Inhalte. - Mehr noch:
Ist ein Gedächtnis abstrakt angelegt, so dürfen Wahrnehmungen auch ohne Probleme unvollständig sein, denn aufgrund der Abstraktion können Teilwahrnehmungen inhaltlich-logisch sehr treffsicher zur Vollständigkeit ergänzt werden. Auch eine so rudimentäre Wahrnehmung wie das hier: :-) Und tatsächlich macht denn auch der Input seitens der Sinnesorgane immer nur einen Bruchteil dessen aus, was im Gehirn eines Tieres oder Menschen an ergänzender, wahrgenommener Gesamtaktivität entsteht.
Kurz: Es gibt eine vom Menschen kaum beachtete prinzipielle Art von Intelligenz, die auf einem Arbeitsprinzip des Gedächtnisses beruht und die einen eigenen, einen neuen Namen verdient: Der autonome Urverstand! Urverstand, weil diese Intelligenz seit Urzeiten alle wahrnehmenden Lebewesen ihre Welt ganz ohne Denken verstehen lässt. Und autonom, weil man es mit einer Intelligenz zu tun hat, die als Verknüpfungsprinzip so wenig unter der Kontrolle der Lebewesen steht wie die Ergebnisse der Mengenlehre - einer Verknüpfungslogik, die für unser Universum gültig ist.
Unbewusste, blitzschnell zu Ergebnissen gelangende Intelligenz ist also erklärbar. Hier mit einfachen Worten, wissenschaftlich mit Mathematik. Und mit der Aussage, dass der Hintergrund der wahrgenommenen Welt spätestens seit dem Nobelpreisphysiker Werner Heisenberg als abstrakt angesehen werden muss. Womit jedem Lebewesen aus Prinzip die abstrakten Inhalte der Welt als Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalt zur Verfügung stehen. Eine Ergänzung aus der Physik, ohne die es unsinnig wäre, eine autonome, auf der Verknüpfung abstrakter Inhalte beruhende Intelligenz anzunehmen.
Bleibt aber natürlich die naheliegende Frage, wie sich dieser autonome Urverstand bei den Lebewesen von damals bis heute, von der Urzeit bis zum Menschen, bemerkbar machen soll. Und um das zu verstehen, bietet es sich an, zunächst einmal die älteste Verhaltenssteuerung des Menschen näher zu betrachten - die sogenannten Instinkte.
Instinkte sind ererbte Verhaltensmuster, die zu bestimmten Wahrnehmungen ähnlich wie Automatismen stur ablaufen. In der Regel handelt es sich um bestimmte Verhaltensweisen bei Fortpflanzung, Gefahr, Brutpflege und anderem. Das Instinktverhalten entspricht dabei dem Verhalten der Ahnen. Besser: Der Summe der Erfahrungen, die mit einem solchen Verhalten gemacht wurden.
Und weil es sich um eine Summe handelt, ändert sich das Instinktverhalten erst dann, wenn überaus viele Einzelschicksale die Untauglichkeit eines Verhaltens durch Dezimierung der Population erwiesen haben. Wenn zufällige Mutationen im Verhalten bessere Überlebenschancen haben, sich durchsetzen können.
Auch der Mensch hat solche Instinkte, trotz seines hochentwickelten Urverstandes und trotz eines bewusst steuerbaren Denkens.
Hören wir etwa einen sehr lauten Dauerton, zu dem der Urverstand blitzschnell keine gedächtnislogische Bedeutung erstellen und das Denken keine mögliche Bedeutung finden kann, dann meldet sich als Nothilfe der uralte Fluchtinstinkt. Mit dem intensiven Gefühl fliehen zu sollen.
Ein Gefühl, das sich bei Nichtbefolgung und bleibender Dauertonwahrnehmung steigern kann, womit es in der Lage ist, beim Menschen Urverstand und Denken zu überwinden. Der Mensch flieht dann rein instinktgesteuert - in gefühlter Panik.
Aber auch unsere anderen Instinkte melden sich über Gefühle, etwas Bestimmtes tun oder lassen zu sollen. So verspürt ein Menschenmännchen bei Wahrnehmung eines hübschen, Gesundheit und Jugend anzeigenden Pos eines Menschenweibchens Lust auf Sex. Und der Geruch faulenden Fleisches lässt Männchen wie Weibchen mit dem Gefühl des Ekels instinktiv vor der Speise zurückweichen. Alles keine Sache der Überlegung, sondern des aufsteigenden Gefühls bei den Instinkten.
Und da man nun zeigen kann, dass der autonome Urverstand nichts anderes ist, als die Fortführung der Instinktsteuerung, nur dass nicht mehr eine Summe von Erfahrungen, sondern ein einziges individuelles Erlebnis das Verhalten in der Zukunft bestimmen kann, wird verständlich, dass sich der Urverstand beim Tier, und auch beim Menschen, heute noch genauso zu Wort meldet, wie sein Urahn - der Instinkt. Mit Gefühlen, mit einem gefühlten Wissen, das uns ganz ohne unser Zutun, sozusagen "instinktiv auf die moderne Art", schneller reagieren lässt, als wir es mit dem Denken je könnten.
Wir glauben zwar, die Gefühle, die uns zu unseren Welt- und Selbstwahrnehmungen entstehen, entstammten unserer Seele, wären sozusagen der "herzliche" Äußerung zu dem, was uns an Welt- und Selbstsicht widerfährt. Doch so ist es nicht.
Die Gefühle, die wir aus unterschiedlichsten Anlässen erleben, manchmal auch "hausgemacht" aus Anlass unseres Denkens und Handelns, sind die ältesten Zügel, mit denen die Evolution die Lebewesen in ihrem Verhalten und heute beim Menschen bis in dessen Denken hinein steuert.
Gefühle sind also keine froh, traurig, selbstbewusst oder niedergeschlagen machenden Äußerungen einer unbekannten Seele, sondern die Folge davon, dass wir als Menschen die gleiche Geschichte wie alle anderen Lebewesen auch haben. Lebewesen, deren Verhalten schon immer einer Steuerung bedurfte und die schon immer über Gefühle erreicht wurde.
Warum wir trotzdem glauben, in den Gefühlen unsere Seele unser eigentliches Ich zu erkennen, das hat etwas damit zu tun, dass unser Ich sich aus der Überschneidung von Instinkten, von Urverstand und von Denken bildet.
Doch dazu kommen wir später. Jetzt steht erst einmal die Frage an, wie es aufgrund eines abstrakten Gedächtnisses dazu kommen kann, dass wir im Laufe des Lebens alle eine unterschiedliche Persönlichkeit entwickeln. Und was Persönlichkeit ist.
Will man bildlich verstehen, was es mit abstrakten Gedächtnis auf sich hat, will man also verstehen, welche Ursache jene Gefühle haben, die uns der autonome Urverstand zu unseren Wahrnehmungen als deren Bedeutung hinzugesellt, dann kann man gut auf ein Modell aus der modernen Physik zurückgreifen. - Einstein lässt grüßen.
Stellen Sie sich daher das Gedächtnis jetzt einmal als ein frei in der Luft gespanntes, feines Fischernetz vor, das aus Fäden der Logik eng geknüpft sei. Lege ich nun auf dieses Netz emotional äußerst belastende Inhalte, so bilden sich um diese Inhalte tiefe Trichter. Der Effekt: Andere Erlebnisse werden über die Fäden der Logik mit dem tiefen Trichter verbunden, erhalten über das verzerrte Netz die jeweilige Bedeutung des schwerwiegenden Erlebnisses durch logische Nähe übertragen.
Dieses Bild zeigt auch sofort, was passieren muss, wenn sehr schwerwiegende Inhalte durch den ausgeprägten Trichter dafür sorgen, dass immer mehr Inhalte aus unserem täglichen Erleben, aus gewählten Gedanken und vor allem aus ungesteuerten Träumen dort mithineingezo gen werden. Dieses Bild ist selbsterklärend. Bis zum Riss, bei dem die Gedächtnislandschaft wieder verflacht, aber dafür nun Lücken aufweist. Gedächtnislücken. Und Bereiche des Gedächtnisses, in denen neue Erfahrungen verschwinden wie in einem schwarzen Loch, als gäbe es keine Logik, die sie halten wolle.
Man sollte sich ein Gedächtnis, bei dem es sich um durch Logik verbundene Inhalte handelt, also nicht statisch als "Gedächtnisschrank" mit Schubladen vorstellen, die auf und zu gehen. Aber auch nicht als eine unverständliche Geistesmathematik.
Das Bild des Netzes zeigt diese komplexe Mathematik in geometrischer Darstellung! Und dann erkennt man ganz ohne Anstrengung eine "Gedächtnislandschaft" mit Höhen und Tiefen, entstanden durch Erlebnisse, Gedanken und Träume, die wie die Gewichte in einem Netz wirken und durch dessen Fäden der Logik verbunden sind.
Und stellt man sich nun noch vor, dass dieses Netz durch die ständig "einfallenden" leichten, aber auch schweren Erfahrungen auf und nieder schwingt, so dass besonders "tiefen Einschlägen" oft ein kurzes Aufschwingen ins Positive folgt, so erhält man ein passendes Bild zu einem dynamischen Gedächtnis, zu einem dynamischen Urverstand. Eine bildliche Erklärung, warum Depressionen sehr oft eine Nachschwankung in die Manie, in den übersteigerten "Frohsinn an sich selbst" haben.
Und noch etwas stellt dieses dynamische Gedächtnismodell klar:
So veränderlich wie das Gedächtnis in seiner "Landschaft" in ihren Höhen und Tiefen ist, so dynamisch veränderlich sind auch die Gefühle, die uns als urverstandliche, als gefühlte und oft nicht gerufene Beigabe zu jeder Welt- und Selbstwahrnehmung erreichen. Schon ein einziger positiv oder negativ schwerwiegender Traum kann uns die Welt und uns selbst am nächsten Morgen in einem völlig neuen, anderen Licht zeigen, ohne dass wir uns dieses neue Lebensgefühl erklären könnten.
Es scheint dann zwar, als stecke hinter diesen unerklärten Gefühlen eine launische und unberechenbare zweite Persönlichkeit in uns, doch tatsächlich begegnen wir hier den Wirkungen eines dynamischen Gedächtnisses, das überwiegend durch Inhalte geformt wird, die wir nicht kennen. Was zur Folge hat, dass wir über den Urverstand, der mit dieser unbekannten Gedächtnislandschaft angesprochen ist, mittels Gefühlen zu einem Verhalten veranlasst werden, dessen Sinn und Ziel wir nicht kennen. Wir glauben das lediglich immer dann, wenn unser Denken in unserem Verhalten eine zielgerichtete Logik zu erkennen glaubt, die auch die seine sein könnte.
In unserem ersten, blitzschnellen, weil autonomen Welt- und Selbstverstehen sind wir also die Gefühlssklaven unseres Gedächtnisses. Und wie sehr wir als Sklaven dieses dynamische Gedächtnis brauchen, um uns lebendig zu fühlen, das zeigt sich, wenn im Laufe eines Lebens das "Gedächtnisnetz" mit immer mehr Inhalten belastet wird:
Das Netz büßt dann an Schwingungsfähigkeit ein, und der ältere Mensch wird durch freudige oder traurige Erlebnisse nicht mehr in dem Masse erregt und im Lebensgefühl beeinflusst, wie der junge. Er hat einen gewissen Status emotionalis. Und da sich die Landschaft im Laufe der Zeit fest um die einzelnen "Trichter" gefügt hat, ist auch das Weltverstehen des älteren Menschen zumeist sehr fest gefügt - und invariabel.
Leichter verständlich, wenn man sich an dieser Stelle daran erinnert, dass unser Weltverstehen zu über 99% nicht etwa mit dem bewussten Denken, sondern blitzschnell und autonom erzeugt wird. Es kommt uns als das Ergebnis von gedächtnisbezogenen Ergänzungen mit unseren Selbst- und Weltwahrnehmung zu.
Wie sehr wir diese Art von Gedächtnis und den sich aus ihm erklärenden autonomen Urverstand brauchen, das wird auch erkennbar, wenn jemand diesen Urverstand nicht mehr deutlich wahrnimmt. Dann erhält man einen Menschen, der die Welt und sich selbst nicht mehr "automatisch", in der Wahrnehmung versteht, der daher furchtbare Ängste erleidet und sich grübelnd langsam, oft schon katatonisch, zu allen Sinnes- und Selbstwahrnehmungen eine mögliche Bedeutung (aus)denken, (er)finden muss. Der Betroffene lebt in einer für andere unverständlichen, weil "privat bedeuteten" Welt.
Und wenn er behauptet, man habe ihm alle Organe vergoldet oder bestrahle ihn mit bösen Wellen aus der Nachbarschaft oder auch aus dem All, dann ist das eine von ihm erdachte Deutung seiner Selbstwahrnehmungen, an die er glauben muss, denn er hat nichts anderes mehr, an das er glauben könnte.
Die bisher völlig "geräuschlos" und unbemerkt arbeitende Intelligenz, sein Urverstand, der ihm seine Wahrnehmungen erst verständlich machte, schweigt, und er nimmt nur noch sein eigenes Denken wahr. Und das in der "Stille des Urverstandes" so laut, dass er meint, er höre fremdes Denken oder sein Denken könne von Fremden gehört oder gesteuert werden, er habe sozusagen keine Grenzen mehr.
Eine Psychose, entstanden durch den zeitweiligen, oft auch schwankenden Verlust des gewohnten Urverstandes in der Wahrnehmung. Der Verlust der autonomen Intelligenz "zugunsten" eines Denkens, das sich mit Aufgaben konfrontiert sieht, die es nicht erfüllen kann, denn die Bedeutungen der Dinge haften diesen ja nicht an wie Farbe, sondern diese Bedeutungen entstehen erst aufgrund eines Abgleichs von Gedächtnis- und Wahrnehmungsinhalten. Ein Prozess, viel zu komplex, um mit dem Denken auch nur ansatzweise bewältigt werden zu können. - Im Vergleich:
Wollten wir das, was uns auf dem Monitor des Computers ein verstehbares Bild entstehen lässt, mit unserem Denken steuern, so wären wir macht-, hilf- und letztlich eben bildlos. Und das, obwohl wir die Prozesse gut verstehen und sie sogar selbst erfunden, sozusagen selbst in die Welt gebracht haben. Ähnlich ist es auch mit Gedächtnis und Urverstand:
Obwohl wir durch die Auswahl bestimmter Lebenssituationen und auch Gedanken das Gedächtnis gezielt prägen können, so können wir nicht bewusst steuern, wie sich uns daraus ein gefühltes Welt- und Selbstbewusstsein ergibt. Das bleibt autonom.
Und scheint es schon erstaunlich, dass es tatsächlich eine Größe namens Urverstand gibt, die von den Psychologen das Unbewusste genannt wird, und die uns in unserer Welt- und Selbstwahrnehmung deutlich beeinflusst, auf die wir aber keinen Zugriff haben, so ist noch eine Steigerung im Erstaunen möglich:
Und zwar dann, wenn man sich mit der Logik die Frage stellt, was es wohl mit unserem Denken auf sich haben kann und muss. Also mit jener Errungenschaft, von der manche glauben wollen, sie sei unmittelbar auf Gott zurückzuführen, auf dessen uns "eingehauchten Geist". - Es gibt eine bessere, wenn auch erstaunliche Antwort.
Wie bereits angesprochen gibt es eine Linie der Entwicklung, die von den Instinkten als summarischem Gedächtnis der Ahnen zum individuellen Gedächtnis des einzelnen Lebewesens führt. Der Instinkt, der die Erfahrungen der Ahnen berücksichtigt, wurde durch den Urverstand ergänzt, der auch individuelle Erfahrungen berücksichtigt, wenn es darum geht, unser Verhalten überlebenstauglich zu steuern.
Und eben weil es diese nachvollziehbare Entwicklung gibt, deshalb sollte sich das Denken des Menschen, diese neueste Errungenschaft der Evolution, aus einer Fortführung dieser Entwicklungslinie ergeben. Als Überwindung eines Nachteils. Also genau so, wie das individuelle Gedächtnis eine Überwindung der Nachteile des summarischen, des vererbten Gedächtnis' ist, das keine Lernfähigkeit im Leben kennt und zulässt.
Wenn wir also für den Urverstand feststellen, dass er als Verknüpfungslogik keinem unmittelbaren Zugriff durch das Wollen unterliegt, also nicht steuerbar ist, so wäre es eine Überwindung dieses Nachteils, eine mit Wollen steuerbare Intelligenz zu besitzen.
Und wie wir es von uns selbst wissen, erfüllt das Denken genau diese Aufgabe. Und noch andere mehr. Es kann Handlungen einleiten, die das Gefühl des erfahrungsgemäß Vernünftigen zugunsten einer eigenen Vorstellung zurückdrängen. Es kann somit ein Lebewesen aus der Sklavenhaltung der gedächtnisorientierten Verstandestradition befreien.
Und obwohl es zunächst kaum vorstellbar erscheint, dass ausgerechnet dieser mögliche Gegner des Urverstandes von diesem selbst geboren wurde, so ist unser Denken tatsächlich der nächtlich gezeugte Sohn des Urverstandes. Das erklärt sich so:
Höhere Lebewesen, die einen ausgeprägten Urverstand haben, zum Beispiel die Säugetiere, aber auch andere, sind nicht ständig wach, sondern kennen unterwache oder Schlafzustände in einem mehr oder weniger festen Rhythmus. In diesem Zustand liegen dann keine oder eher nur sehr schwache Sinneswahrnehmungen vor, so dass viel Gehirnkapazität bereitsteht, in der sich das individuelle Gedächtnis ohne den Anlass von Sinneswahrnehmungen abbilden kann. Also nicht als Ergänzung, sondern aus sich heraus, eigenständig - als Traum.
Da nun aber Gedächtnisinhalte grundsätzlich abstrakter Natur sein müssen, also nur Inhalt und Logik aufweisen, keine konkret wahrnehmbare Gestalt haben, können und müssen sie eine dem Inhalt und der Logik entsprechende Gestalt im Traum erst noch erhalten.
Die Mathematik des Geistes zieht sich sozusagen die passenden Kleider der Wahrnehmbarkeit über. Womit der unnahbare Vater einem Kind im Traum als glatter Fels erscheinen mag, dessen Höhe es nicht erreichen kann, ohne abzurutschen und sich wehzutun.
Die Formlosigkeit abstrakter Gedächtnisinhalte hat also zur Folge, dass diese im Traum ein beliebiges, aber doch logisch passendes Kleidchen der Wahrnehmbarkeit erhalten. Der Traum als unmittelbarste Wahrnehmung von Gedächtnisinhalten bekommt so die Funktion eines Vergleichs, weil sich Unverstandenes in anderer Weise präsentieren und deshalb "im Schlaf" doch noch verstanden werden kann.
Die freudsche Traumdeutung, hier erklärt aus dem Umstand, dass ein Gedächtnis, das zum neuen Weltbild der Physik passen und das Intelligenz im Sinne von Urverstand ermöglichen muss, zwingend abstrakte Inhalte hat, deren Wahrnehmung im Traum eine Hülle verlangt, die der damit verbundenen Logik Rechnung trägt. In einer Tiefe des Erlebens, die den Höhen und Tiefen der Gedächtnislandschaft entspricht.
Und sollte die Landschaft tiefe Trichter aufweisen, sollte eine tief gefühlte Depression vorliegen, kann es daher sinnvoll sein, Träume der darstellenden Art, vorwiegend Morgenträume, nicht zuzulassen durch Schlafentzug. So wird zumindest vermieden, dass sich durch immer gleiche, das Gedächtnis bildhaft darstellende Traumerlebnisse, selbstverstärkende Effekte ergeben, mit denen die Tiefen noch tiefer werden.
Besser wäre es jedoch ohne Frage, den Menschen in dieser Schlafentzugszeit mit Träumen zu versehen, die von einem Therapeuten aktiv begleitet werden. Dazu jedoch erst gegen Ende dieses Aufsatzes, bei der Definition von Hypnose mehr.
Interessant ist hier nur die Frage, was passieren muss, wenn ein beliebiges Lebewesen durch eine evolutionär zunehmende Hirnkapazität (beim frühen Menschen nimmt man eine Abnahme der Gebissmuskulatur als mögliche Ursache an) nicht nur des Nachttraums, sondern auch des Tagtraums fähig wird. Wenn sich ihm also zusätzlich zur autonom vom Urverstand vorbedeuteten äußeren Realität noch eine innere Realität auftut, die ihm im günstigen Fall die Außenwelt in traumhaft vergleichender Darstellung zeigt.
Ist das der Fall, so kann das Lebewesen seine Außenwelt erstmals in Kritik nehmen, es kann der Außenwelt die zusätzlich erlebte Innenwelt entgegensetzen. Und zwar umso besser, je mehr es ihm gelingt, seine Tagträume zu provozieren, sie zu lenken und aus ihnen auszuwählen. Also genau das zu tun, was die Kinder der Menschen in den ersten Lebensjahren - in gezeigter Zeitraffer-Evolution - auch heute noch tun - tagträumend denken zu lernen. Eine eigene, gewollte, steuerbare Intelligenz zu entwickeln.
Sic!
Denken ist bei dieser Herleitung also nichts anderes als die logische Folge davon, dass sich abstrakte Gedächtnisinhalte, die zunächst nur eine autonome Intelligenz namens Urverstand ermöglichen, bei zunehmender Hirnkapazität nicht nur als vergleichende Nacht-, sondern auch als Tagträume äußern können. Als erlernbar steuerbare innere Welten. Womit der Art, der das in ihren einzelnen Lebewesen widerfährt, ein erstes, ein frühes Bewusstsein entsteht.
Bewusstsein, hier verstanden als die Möglichkeit, der vorgegebenen und urverstandlich vorbewerteten Welt des Äußeren eine innere Welt des selbst gesteuerten Gedachten entgegensetzen zu können. Als gewolltes und gefühltes Selbst, als Individuum.
Und sogar die Art und Weise, wie ein solches, frühes Bewusstsein als Gefühl entsteht, können wir heute noch gut in einer Art Zeitraffer nachvollziehen, wenn wir einmal aus einem tiefen Traum langsam erwachen. Vor allen Dingen morgens, dann wenn unser Gedächtnis dazu neigt, besonders intensiv Gestalt anzunehmen.
Im Traum hat der Mensch kein Bewusstsein, zumindest keines im Sinne von Descartes und auch keines im Sinne der Medizin, denn er kann keine Kritik an dem Erleben äußern, er muss die wahrgenommene Traumwelt einfach hinnehmen und durchleben, ohne Zweifel an ihr zu haben. Er weiß nicht einmal, was Zweifel ist oder sein könnte.
Erwacht der Mensch aber langsam aus dem tiefen Traum, so bemerkt er eine weitere, äussere Realität, er liegt im Bett statt in der Folterkammer des Descartes, und er kann dann die Traumrealität in Frage stellen. Er kann feststellen, dass ihn diese Realität nur im Schlaf betrifft, und er hat so Bewusstsein zu seiner Wachrealität (wieder)erlangt.
Ähnlich, nur umgekehrt und über Jahrzigtausende verteilt, ist der frühe Mensch wohl einst aus seiner Wachrealität aufgewacht. Er hat zunehmend erkannt, dass es noch eine innere, steuerbare Tagtraumrealität gibt, hat erkannt, dass es eine ihn individuell betreffende innere Welt gibt, die er der alle betreffenden äußeren Welt entgegenstellen kann. Die er, bei einiger Übung, auch als seine eigentliche Welt anerkennen kann.
So fand der Mensch laut hier gezeigter Logik zu seiner Seele, zu einem Selbst- und Ich-Verstehen, zu Bewusstsein. Genau so, nur in Zeitraffer, finden auch unsere Kinder zu frühem Bewusstsein. Und so ähnlich wie unsere Kinder heute sehr schnell, weil angeleitet lernen, so lernte es der frühe Mensch langsam, weil aus eigener Kreativität, seinen inneren Welten mit Lauten und Symbolen eine wahrnehmbare Form zu geben, in der er sie mitteilen, kommunizieren konnte.
Womit aus dem isolierten Bewusstsein des Individuums ein allen Menschen gemeinsames Bewusstsein von Existenz entstand. Das von allen geteilte Gefühl, beseelt zu sein.
Bald hatte es der Mensch auch gelernt, in seinen Wachträumen eine geistgeschaffene, bessere innere Welt zu sehen, die er dann außen materiell nachbilden konnte, statt wie früher als Tier warten zu müssen, dass sich die bessere Welt durch Zufall ergäbe. Der gewollte Fortschritt wurde möglich, und die Evolution des Zufalls wurde durch eine gedanklich gesteuerte Evolution abgelöst, die rasanten Fortschritt mit sich brachte.
Wir Menschen sind somit Lebewesen, die neben den eher verdeckten Instinkten, über einen hochentwickelten Urverstand verfügen und zusätzlich über eine hochentwickelte Tagträumerei. Ein sehr präzise in den Inhalten steuerbares, daher in Begriffe fassbares, mitteilbares Denken.
Womit auch die alte Frage geklärt ist, wie der Mensch überhaupt gezielt denken kann, wenn sich doch schon 10 verschiedene Gedächtnisinhalte zu 3,6 Millionen Gedanken fügen lassen. Wie erzeugt er aus dieser Vielfalt ein sinnvolles Ergebnis, ohne alle denkbaren Ergebnisse kennen zu können?
Die Antwort: Wir erzeugen unsere Gedanken nicht aktiv, sondern diese kommen uns nach wie vor über das Gedächtnis unmittelbar zu. Als mögliche, weil von den engen Prämissen des überlebenssichernden Urverstandes befreite, "kreative" Verknüpfungen der Gedächtnisinhalte. Und aus dieser Vorauswahl, aus dem, was wir davon zulassen wollen oder können, aus diesem Angebot wählen wir aus und greifen steuernd und lenkend ein.
Doch wie jeder Fortschritt, so bringt auch ein bewusst steuerbares Denken Nachteile mit sich. So können wir unsere Denkurteile gezielt gegen die des Urverstandes stellen, den "eigenen" Urteilen mehr glauben als der bewährten Logik des Lebens. Zwar macht genau dieser mögliche innere Widerspruch, dieses Aufbegehren, unser Bewusstsein aus, aber:
So entwickeln sich auch Neurosen. Als bewusst oder unbewusst denkerzeugte Fehlbeurteilungen von Welt und Selbst, die das Gedächtnis prägen und denen der Betroffene schon bald nicht mehr zu entrinnen vermag, weil ein geprägtes Gedächtnis auch den autonomen Urverstand und damit das Alltagsverstehen eines Menschen prägt.
Womit der Neurotiker zum Gefangenen von Vorstellungen wird, um deren Unlogik er aber, anders als der Psychotiker, immerhin weiß. Was die Sache aber für ihn nicht besser macht, die Qual kann sogar größer sein.
Das Denken kann auch Ursache der pathologischen Ängste sein. Und zwar dann, wenn ständig erneuerte Gedanken zu einem möglichen Versagen von Körper und Geist den autonomen Urverstand auf höchste Empfindlichkeit "einstellen". Mit der Folge, dass zu jeder harmlosen Körper- oder Weltwahrnehmung Gefühle erlebt werden, wie sie ansonsten nur bei einer realen tödlichen Gefahr gespürt werden würden. Nun aber sinnlos, weil ohne eine objektiv wahrnehmbare Gefahr.
Korrigierbar aber dadurch, dass der Betroffene sein Denken wieder zurücknimmt, seinem Körper und dem Leben wieder zu vertrauen lernt. Ganz real oder auch in geführten Träumen, denn für das Gedächtnis und damit für den Urverstand macht die Herkunft der neuen, korrigierenden Inhalte keinen Unterschied. Es unterscheidet nicht zwischen Traum und Realität, weil beide identische Voraussetzung haben – wahrnehmbare Inhalte, die durch eine Logik verbunden sind.
Was noch fehlt, um das gefühlte Selbst, das Ich des Menschen und dessen Herkunft vollständig, wenn auch nur im Denkansatz zu beschreiben, das ist das Triumvirat, aus dem sich dieses Ichgefühl bildet.
Da haben wir zum einen die uralten, beim Menschen verdeckten Instinkte, die uns, wenn, dann mit starken Gefühlen zu einem bestimmten Verhalten veranlassen wollen. Zu Handlungen, die sich bei unseren Ahnen bewährt haben.
Zum anderen haben wir den autonomen Urverstand des Menschen. Als eine gedächtnisbasierte Größe ist er geprägt durch das wahrgenommene Vorleben durch die Eltern. Deren Verhalten in den verschiedensten Situationen ist es, welches uns in vergleichbaren Situationen die Welt und uns selbst auf eine bestimmte Art und Weise wahrnehmen lässt. Ein "automatisches" Verstehen, gegen das wir mit dem Denken zunächst nur wenig ausrichten können. Und andere können das schon garnicht, jedenfalls nicht auf die Schnelle.
Und dann ist da noch die jüngste Entwicklung im Zuge der Evolution - das Denken. Geprägt vor allem durch elterlich-schulische Bildung, also durch die mitgeteilten Erfahrungen, die sie und andere mit ihrem Denken gemacht haben. Mit dem auf diese Weise weitergegebenen Denken, mit der erlernten Logik eines sinnvollen Denkens, können wir dann zunehmend die Welt, aber auch uns selbst durchschauen. Womit zunächst einmal nur deutlich wird:
Der Mensch braucht zwei Formen der Erziehung. Die seines Urverstandes durch Vorleben, so wie im Tierreich auch. Und die seines Denkens, durch mitgeteilte Denkinhalte und Vermittlung der Logik, wie man derartige Inhalte zu sinnvollen, kreativen Konstrukten verbindet. Deutlich wird an dieser Stelle aber auch, und darauf kommt es hier an:
Der sich überschneidende Bereich aller drei Einflüsse, Instinkt, Urverstand und Denken, wovon zwei durch Erziehung geprägt werden können, ist es, der das von uns gefühlte Ich ausmacht, unsere Seele. In allen Facetten und in wechselnden Anteilen von Trieb, Verstand und gewollter Vorstellung, je nach Erziehung, Lebensumständen und Kultur. Trotzdem nehmen wir immer nur die Spitze eines Eisberges wahr, denn mit Ausnahme der Triebe beruhen sowohl Urverstand als auch Denken in ihrer Ausprägung auf der "Topographie" unseres Gedächtnisses. Und die bleibt uns in der Regel verborgen. Zu Ausnahmen später.
Soweit zu dem, was einen Menschen bei dieser Genealogie seines Geistes ausmacht.
Und wer nun glaubt, dieses Modell reduziere diesen Geist, sein Ich, auf ein Gehirn, welches das eben in Worten und Bildern Gezeigte durch neuronalen Stoffwechsel und sonstige Vorgäue bewirke, der irrt zutiefst. Richtig verstanden und mit dem entsprechenden Hintergrund besagt das hier vorgestellte Modell auch, dass wir ureigentlich geistig und damit abstrakt existieren, ohne Zeit und Raum, aber dass wir diese Existenz "derzeit" so wahrnehmen, als wäre sie materiell. Und zwar in genau dem Rahmen, in dem sich unsere und alle Existenz materiell wahrnehmen, also auch in stofflichen Gehirnvorgängen darstellen lässt.
Eine Einsicht, die von den Vordenkern der modernen Physik und den Nachdenkern der vergangenen Zeiten geteilt wird. Und sie besagt in einem Postulat: Unser Bewusstsein ist das eines ursächlichen Geistes, der sich in seiner Schöpfung in allem was ist und auf einem zufallsgeprägten Weg noch sein wird, neu, weil materiell begreifen lernt. Ein Pantheismus.
Ein Pantheismus, der sich weit über jeden personal gedachten Gott erheben kann, weil das, was wir aus unserem Leben machen und an anderem Leben bewirken zum Schicksal Gottes und damit zu unserem Schicksal wird. Als Gesamterfahrung aller Zeit und allen Lebens in dieser Zeit. Hier und sonst wo in diesem Universum. Gestern, heute, morgen, doch das Resultat, die Erfahrung, ist geistig und damit aus unserer Sicht ewig.
Schöne Worte, zum Schluss. Klar sollte aber auch sein, dass man die Dinge nicht so einfach, so scharf begrenzt und so auf das Wesentlichste reduziert sehen darf, wie es in einem solchen Aufsatz zur Herkunft und kurz auch zum Sinn des geistigen Menschen geschehen muss. Das wäre die falsche Lehre - und sie führte ins Leere. Doch klar ist auch:
Das Spiel der Moderne, die Unkenntnis und Missverstehen zum Menschen und zu dem, was ihn ausmacht, hinter semantischen Häufungen von gelehrt erscheinenden Worthülsen zu verstecken beliebt, führt in die Leere. Genauso wie der heute bereits unüberhörbare Ruf der Esoterik, die alles und jedes mit flüchtigem Geist und energetischer Strömung erklären will, begründet mit Schwingungen.
Sinnvoller erscheint mir, eine Genealogie zu sehen, in der der Geist, das Bewusstsein des Menschen, nicht als unerklärbarer "Ausreißer" der Materie oder göttlicher Odem erscheint, sondern als Folge einer nachvollziehbaren Entwicklung des Lebens - vom Instinkt bis zur heutigen Ausprägung beim Menschen - logisch erklärt wird. Doch da nun solch ein Versuch, ohne Nachweis seiner Berechtigung nichts wert ist, nicht einmal das Papier, auf dem er steht, hier der bereits im Vorwort angekündigte Nachweis.
Ein Nachweis, der sich auf die Erfahrung stützt, dass das Allgemeine in der Regel dann richtig erklärt wurde, wenn dieses Allgemeine auch das Besondere erklären kann, ohne zu Hilfskonstruktionen greifen zu müssen, ohne auf Neuigkeiten angewiesen zu sein.
Hier nun soll es der erklärte Zustand des alltäglichen Bewusstseins ermöglichen, den besonderen Zustand der Hypnose in seiner Ursache und Wirkung erstmals allein mit der Logik zu erklären. Befreit von allen Mythen und Mysterien. Deshalb zunächst zu den Phänomenen, die sich mit oder unter Hypnose laut Erfahrung erzielen lassen:
Der Hypnotisierte verfügt über ein Erinnerungsvermögen bis in die Kindheit hinein. Unter Anleitung kann er sich sogar an Dinge erinnern, die ihm damals, als er sie eher beiläufig wahrnahm, nicht bewusst geworden sind. Auch ist er zu sehr belastenden Körperstellungen fähig, die seine übliche Leistungsfähigkeit weit überschreiten. Selbst Schmerz muss der Hypnotisierte nicht fühlen, und eine intensive Zahnbehandlung wird ohne örtliche Betäubung gut durchgestanden. Es ist, als seien in Hypnose die Alltags-Grenzen von Gedächtnis, Kraft und Wahrnehmung verschoben.
Einem Hypnotisierten kann in einer Show erklärt werden, er sei ein Hund und der so Erklärte fühlt sich als Hund, verhält sich wie ein Hund. Er schlüpft je nach Anweisung in die verschiedensten Rollen, windet sich wie eine Schlange, doziert wie Einstein, im festen Glauben, er sei Einstein. Es ist, als habe man ihm seinen Verstand genommen und diesen durch den Rapport des Hypnotiseurs ersetzt. Auch Anweisungen, die über die Zeit der Hypnose hinweg Gültigkeit haben sollen, werden wirksam. Bestimmte Wachwahrnehmungen können dann bestimmte Gefühle hervorrufen und es ist dann so, als hätte man dem Betreffenden unter Hypnose eine Art Instinkt angelegt, von dem er zwar nichts weiß, dem er aber bei Eintritt des Schlüsselreizes folgen will.
Auch das Wahrnehmungsspektrum kann durch Hypnose in den Alltag hinein erheblich verändert werden. So kann man einem Hypnotisierten erklären, dass er einen Mann in dunkler Kleidung und mit Hörnern am Kopf im Raum vorfinden werde, dieser weise aber leider keine Türen auf. Nach Rücknahme der Hypnose wird der Betreffende im Hypnotiseur den Teufel erkennen, Angst haben, fliehen wollen, die Tür aber nicht finden, obwohl sie doch für jeden anderen sichtbar vorhanden ist. Es ist dann so, als hätte man dem Hypnotisierten sein wahrnehmendes Weltverstehen genommen.
Und das öffentliche Erschrecken darüber, wie leicht sich der Mensch in Wahrnehmen, Denken und Fühlen unter Hypnose beeinflussen lässt, ist groß. Und deshalb tritt die seriöse Hypnose-Therapie gegen Bedenken an, deren Förderer sie letztlich selbst ist, eben weil auch sie nicht dezidiert erklären kann oder will, was da genau vor sich geht. Denn der Begriff Trance, der so gerne gebraucht wird, ist nicht selbsterklärend. Der Begriff Trance erklärt den Zustand Hypnose so wenig wie der Begriff Nebel eine Wolke. Hier nun der Versuch, die Hypnose auf der Grundlage des bisher Gesagten zu erklären:
Werfen wir dazu einen Blick auf die typische Hypnoseeinleitung, bei der Therapeuten auf Patienten treffen, die ihnen vertrauen.
Zunächst soll der Patient sich nur auf die Fingerspitze des Therapeuten konzentrieren und auf dessen Stimme. Sodann sagt der Therapeut dem Patienten "Erscheinungen und Gefühle" voraus, die dieser so nicht erwartet. Dass die Augen beginnen zu brennen, dass das Bild verschwimmt, dass die Augen müde werden, die Lider schwer wie Blei, dass sich die Augen schließen wollen und schließlich auch schließen dürfen.
Diese Erscheinungen und Gefühle sind zwar eine natürliche Folge der starren Fixation, aber sie kommen im Alltagsleben nicht vor. Es gibt dazu keine Erfahrungen und daher keine urverstandliche Bedeutungsgebung, die von dem Patienten wahrgenommen wird. Dafür aber ist der Rapport des Therapeuten wahrnehmbar, der all diese Gefühle und Erscheinungen klar voraussagen kann. Besser, als der autonome Urverstand, den der Patient zwar begrifflich nicht kennt, dessen ständig wahrgenommenen Urteilen er aber im Leben unbewusst ständig vertraut.
Der Zweck des eben beispielhaft geschilderten Vorgehens liegt auf der Hand:
Der autonome Urverstand des Patienten soll durch ein Erleben, das im Alltag so nicht vorkommt, in einer Weise getäuscht werden, die es dem Therapeuten möglich macht, scheinbar treffsicherer zu sein als dieser Urverstand.
Das führt zunächst dazu, dass die wahrnehmungsbegleitenden Schlüsse des Urverstandes weniger Beachtung durch den Patienten erfahren. Er konzentriert sich auf den Rapport. Durch weitere Suggestionen ist es dann möglich, dass der Patient die Wahrnehmung seines Urverstandes sukzessive und freiwillig "aufgibt", während der Therapeut vorsichtig und stufenweise die Rolle des zurückgedrängten Urverstandes übernimmt.
Therapeut und Patient bringen so, ohne dass es der Patient will oder bemerkt, dessen Urverstand ‚zum Schweigen' und es kommt dann zu einer Bewusstseinslage ähnlich der beim Schlaf. Der Patient schläft aber nicht, sondern sein Denken ist hellwach, nur der Urverstand schweigt. Und wenn man so will, ist der Hypnotisierte nun der älteren Hälfte seines Geistes, des Urverstandes, ‚beraubt', ohne es zu bemerken.
Der Patient glaubt zwar, dass er über volles Bewusstsein verfüge, doch in Wahrheit erlebt er nur ein Scheinbewusstsein, denn der Gegenpol seines Denkens ist nicht mehr sein autonomer Urverstand, sondern der Rapport des Therapeuten.
Was aber das Ersetzen des Urverstandes durch einen anderen bedeutet, das zeigt ein Rückblick auf die Rolle, die der Urverstand für den Menschen seit jeher spielt:
Der Urverstand ist die erste, von den eigenen Erfahrungen geprägte Welt– und Selbstbeurteilungsquelle, die dem Menschen zukommt. Er ist keine Fähigkeit, sondern das Erleben von Gedächtnisinhalten, die sich erfahrungsorientiert und raum-zeit-logisch kombiniert mit Wahrnehmungsinhalten als deren Bedeutung präsentieren. Mit diesem Urverstand lernen wir von Geburt an den Körper und dessen Fähigkeit einzuschätzen. Diesem Urverstand danken wir es auch, nur das zu erinnern, was von logikbestimmter Wichtigkeit ist, denn: Würden wir bei jeder Wahrnehmung jede Bedeutung erfahren, die die Wahrnehmung laut Gedächtnis für uns haben könnte, so wären wir zu keinem Verhalten mehr fähig.
Unter Hypnose fehlt nun diese urverstandliche Seite, und so ist es wenig erstaunlich, dass der Mensch dann zu belastenden Körperstellungen fähig ist und etwa mit Füssen und Kopf fast wie ein steifes Brett über zwei Stühlen liegt. Diejenige Komponente des Ich, die den Menschen in seine erfahrungsgemäße Physiologie zwingt, der Urverstand, schweigt zugunsten des Hypnotiseurs. Dessen Vorgaben steuern nun die Physis.
So erklärt ist es auch nicht erstaunlich, dass sich ein Mensch unter Hypnose als Hund fühlen kann. Er glaubt, bei vollem Bewusstsein zu sein, besitzt seine Denkfähigkeit, er kann sich aber gleichwohl nicht mit Zweifel betrachten, da sein Urverstand zugunsten des Rapports des Hypnotiseurs schweigt. Die einen Zweifel ermöglichende innere Polarität von Urverstand und Denken fehlt dem Hypnotisierten. Und sagt ihm der Hypnotiseur, er sei ein Hund, muss der Mensch dies so kritiklos wie in einem Traum glauben, hinnehmen und sich entsprechend verhalten, ganz ohne Zweifel zu haben.
So erklärt ist es auch nicht erstaunlich, dass das Gedächtnis des Hypnotisierten fast eidetische, die Vergangenheit bildgetreu reproduzierende Züge hat. Denn schweigt der Urverstand, so besteht für die sinnvolle Beschränkung der Wahrnehmung vorhandener Gedächtnisgehalte kein Anlass mehr. Das Gedächtnis kann nun in dem Umfange erlebt werden, wie es dem Therapeuten gelingt, Anknüpfungspunkte zur Vergangenheit zu finden, um sie als ein Konstrukt aus vorhandenen Bausteinen auferstehen zu lassen. Ein Konstrukt, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
So erklärt ist es auch nicht erstaunlich, dass Anweisungen, die unter Hypnose gegeben werden, noch lange Zeit später Wirkung entfalten können, denn der Therapeut gibt hier zu bestimmten Objekten der Wahrnehmung eine neue Verknüpfungslogik vor. Ein Eingriff in seinen Geist, den der Hypnotisierte in seinem singulären, kritiklosen Erleben nicht bemerkt und der bestehen bleibt. Folglich wird die Wahrnehmung eines entsprechenden Objektes im Wachzustand mit der vorgegeben Verknüpfung, zumeist eine Gefühlsbesetzung, erlebt.
Fazit: Hypnose ist keine Unterhaltung mit dem Unbewussten, wie manche glauben, denn mit einer Art von Mathematik lässt sich schlecht plaudern. Auch nicht in Bildern. Hypnose ist nichts anderes, als das Zulassen und das gesteuerte "Erzeugen" von Eindrücken, wie sie uns ähnlich auch im Schlaftraum erscheinen könnten. Träume, die dann als Wahrnehmungen, wie die Wachwahrnehmungen auch, unser Gedächtnis prägen und so über den Urverstand auch unsere waches Welt- und Selbstverstehen.
Von Bedeutung ist das vor allem, weil der Hypnotisierte im Traum über ein eidetisches Gedächtnis verfügt, mit dem er Zugang zu emotional schwerwiegenden Erlebnissen haben kann, die er sozusagen noch einmal durchlebt. Nun aber mit der Erfahrung seines bisherigen Lebens und unter Anleitung eines kundigen Therapeuten.
Das wiedererlebte Ereignis kann so in Hypnose neu bewertet werden, kann zu anderen Schlüssen führen, und oft genügt schon eine einzige Sitzung, um dem Patienten nach der Hypnose ein neues Lebensgefühl geben zu können. Nicht weil der das so will, sondern weil ihn sein gedächtnisbasierter Urverstand die Welt und sich selbst anders, anders bedeutet wahrnehmen lässt. Sinnvoller und sanfter kann eine Heilung des Geistes beim Menschen nicht erfolgen.
Hypnose ist also ein geleitetes Träumen. Ein geleitetes, durch den schweigenden Urverstand kritikfrei gestelltes, bildhaftes Denken. Ein Lernen aus kontrollierten Träumen, aus einem kontrollierten, angeleiteten Denken. Manchmal auch eine nachgeholte Erziehung, wenn man so will. Und Bildern kommt dabei in der Hypnose eine besondere Rolle zu, denn da Gedächtnisinhalte notwendig abstrakter Natur sind müssen sie zur Wahrnehmung immer in wahrnehmbare "Formen" überführt werden, um als Gedachtes neu erfahren zu werden, um damit arbeiten zu können. Und, das ist besonders wichtig:
So betrachtet, verliert die Hypnose ihren mystischen Charakter und sie erklärt sich in Ursache und Wirkung vollständig allein aus der hier aufgezeigten, eindeutigen Struktur unseres Geistes.
Quod erat faciendum.
Ein Rückblick mit zwanzig Jahren Abstand
© 2025 Dieter M. Schulz-Hoos, München
Zwanzig Jahre sind vergangen, seit ich diesen Text über Bewusstsein und Hypnose verfasste. Damals stand Ernst Poeppels 3-Sekunden-Regel noch am Rande meiner Überlegungen – eine empirische Kuriosität, die gut ins Bild passte, aber deren tiefere Bedeutung ich noch nicht erfasst hatte.
Heute, nach intensiver Auseinandersetzung mit der eleatischen Philosophie und den Grundlagen der Physik, erkenne ich: Poeppels Forschung zur zeitlichen Taktung des Bewusstseins liefert nichts Geringeres als empirische Belege für eine radikale metaphysische These, die bereits die vorsokratischen Eleaten ahnten und die ich in meinem physikalischen Modell weiterentwickelt habe:
Das Universum – und mit ihm unser Bewusstsein – existiert nicht kontinuierlich, sondern diskret.
Poeppel zeigte, dass unser Bewusstsein nicht kontinuierlich "fließt", wie wir es subjektiv erleben, sondern in diskreten Zeitfenstern organisiert ist:
30 Millisekunden: Die minimale Zeitauflösung für Gleichzeitigkeit – das kleinste wahrnehmbare "Jetzt"
3 Sekunden: Das subjektive Gegenwartsfenster – die maximale Spanne unmittelbarer Präsenz
Zwischen diesen Takten liegt etwas, das ich damals "Urverstand" nannte: eine unbewusste, blitzschnelle Integration von Wahrnehmung und Gedächtnis, die uns handlungsfähig macht, bevor das bewusste Denken überhaupt einsetzt.
Heute verstehe ich diesen Urverstand neu: Er ist die neuronale Maschinerie, die diskrete Existenzmomente zu einer scheinbar kontinuierlichen Erfahrung verschweißt. Nicht durch bewusstes Nachdenken, sondern durch autonome zeitliche Integration.
Und hier schließt sich der Kreis zu den Eleaten.
Die Eleaten – Parmenides, Zenon und ihre Nachfolger – lehrten vor 2500 Jahren eine auf den ersten Blick absurde These: Bewegung und Veränderung sind Illusionen. Was existiert, existiert absolut, zeitlos, unveränderlich. Die wahrgenommene Welt des Werdens ist Täuschung der Sinne.
Lange galt diese Lehre als überwundener philosophischer Irrweg. Doch die moderne Physik hat die Eleaten rehabilitiert – auf verblüffende Weise:
1. Die Relativitätstheorie zeigt: Es gibt keine absolute Zeit, kein universelles "Jetzt". Was "gleichzeitig" ist, hängt vom Beobachter ab. Zeit ist keine fundamentale Größe, sondern eine Perspektive.
2. Die Quantenmechanik enthüllt: Auf fundamentaler Ebene ist die Welt nicht deterministisch-kontinuierlich, sondern diskret und probabilistisch. Planck-Länge und Planck-Zeit (ca. 10^-43 Sekunden) könnten die kleinsten sinnvollen Raumzeit-Einheiten sein – diskrete "Pixel" der Realität.
3. Die Schleifenquantengravitation vermutet: Raumzeit selbst ist nicht kontinuierlich, sondern ein Netzwerk diskreter Ereignisse. Carlo Rovelli spricht von einer "relationalen" Physik: Nicht Dinge existieren in der Zeit, sondern Ereignisse konstituieren Zeit durch ihre Beziehungen.
Das eleatische Paradox löst sich so auf: Die Welt ist tatsächlich nicht kontinuierlich. Sie "existiert" in diskreten Takten – und was wir als Bewegung und Veränderung wahrnehmen, ist das Nacheinander dieser diskreten Zustände. Genau wie ein Film aus einzelnen Standbildern besteht, die erst durch die Trägheit unserer Wahrnehmung zu "Bewegung" verschmelzen.
Und hier wird Poeppels Forschung zur Brücke zwischen Physik und Bewusstsein:
Wenn das Universum tatsächlich in diskreten Takten existiert – sagen wir: auf der Planck-Skala von 10^-43 Sekunden –, dann ist unser Bewusstsein mit seinen 30-Millisekunden-Fenstern und 3-Sekunden-Integrationen nur ein grobes Echo dieser fundamentalen Diskretheit.
Das, was ich damals "Urverstand" nannte, wäre dann die neuronale Antwort auf ein kosmisches Problem: Wie baut man aus diskreten Existenzmomenten eine handlungsfähige Kontinuität der „Lebewesen" auf?
Die Antwort: Durch zeitliche Integration und Gedächtnis.
Die 30-Millisekunden-Fenster binden einzelne neuronale Ereignisse zu einer "Wahrnehmung"
Die 3-Sekunden-Integration bindet Wahrnehmungen zu einer "Gegenwart"
Das Gedächtnis bindet Gegenwarten zu einer "Biographie"
Das Ich entsteht als Muster über diese diskreten Momente hinweg
Das Ich ist somit keine Substanz, sondern eine Struktur. Es existiert nicht kontinuierlich, sondern wird in jedem Moment neu erzeugt – und durch Gedächtnis zur Illusion einer kontinuierlich lebenden und denkenden Person verknüpft.
Neue Antworten auf viel zu alte Fragen
- Neufassung eines Aufsatzes von 2006 -
© 2007 Dieter M. Schulz-Hoos, München
Die Meinungen des Menschen zu dem, was seinen Verstand, sein Bewusstsein und sein Ich ausmachen, sind so vielfältig und teils „schillernd", dass es eine Lebensaufgabe sein könnte, all diese Ansichten einmal nebeneinander, als Synopse der größten Widersprüche im Denken des Menschen, aufzulisten.
Dieser Aufsatz hier will mehr. Er will deutlich machen, dass das Bewusstsein des Menschen kein Mysterium, sondern eine eindeutig herleitbare Größe ist, wenn man sich nur die Mühe macht, zunächst unser Verhalten im Alltag etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
Dann zeigt sich, dass wir in unserem Verhalten von Entscheidungen gelenkt werden, die nicht einmal zu einem Prozent unserem bewussten Denken entstammen. Vielmehr folgen wir zu 99 Prozent den Vorgaben einer Instanz, die unsere Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalte zu Ergebnissen kombiniert, die unmittelbar unser Verhalten steuern.
Ein autonomer Urverstand, der als Weiterentwicklung der Instinkte die höheren Tiere schon seit Jahrmillionen ihre Welt verstehen lässt, ohne dass sie dafür denken müssten. Eine klar definierbare, durchschaubare Intelligenz, die wir aber bis heute übersehen.
Und so, wie dieser Urverstand die leicht herleitbare Weiterentwicklung der Instinkte ist, so stellt Denken eine evolutionär gefundene Weiterentwicklung des Urverstandes dar. Die nicht steuerbare "Programmintelligenz" Urverstand wurde durch eine steuerbare Intelligenz ergänzt - durch das erlernbare Tagträumen in Gefühl und Bildern, später auch in Begriffen und Sätzen. Denken eben.
So betrachtet sind wir Menschen eine Art evolutionär gefundene "Dreifaltigkeit": Wir verfügen über die uralten, meist verdeckten Instinkte; über die Urteile des autonom arbeitenden Urverstandes und wir verfügen zusätzlich über ein Denken, mit dem sich die Verhaltensvorgaben der beiden älteren Institutionen in Frage stellen lassen.
Unser Ich ist bei dieser Herleitung menschlichen Geistes keine eigenständige Größe mehr, sondern dieses Ich ergibt sich als gefühltes Bewusstsein aus der Überschneidung von Instinkt, Urverstand und Denken. Ein Ich, das durch diese Polarität eine besondere Dynamik, Individualität und Einzigartigkeit erfährt.
Die Probe aufs Exempel zu dieser Herleitung des menschlichen Bewusstseins liefert am Ende des Aufsatzes die Hypnose. Jener Sonderzustand des Bewusstseins, in dem wir über außergewöhnliche körperliche und geistige Fähigkeiten verfügen, in dem wir sehr kritiklos glauben, alles zu sein, was man uns suggeriert und in dem sich, gut dokumentiert, der empfindliche Geist des Menschen besonders schonend heilen lässt. Und lassen sich nun diese Phänomene in Ursache und Wirkung mit der Struktur, mit der hier aufgezeigten Genealogie des menschlichen Geistes widerspruchsfrei erklären, so mag dies als Indiz für die Richtigkeit und Wichtigkeit dieses Aufsatzes gelten.
Doch das ist bereits das Ende. Den Anfang dieses Aufsatzes bildet, fast traditionell bei der Erörterung von Bewusstsein und Hypnose, ein kleiner Selbstversuch:
Schließen Sie einmal für einen Moment die Augen, drehen sie sich zu einem Fenster und beobachten Sie nun im Augenöffnen, wie schnell Sie das, was Sie gerade sehen, sprachlich benennen, wie schnell Sie also die wahrgenommene Welt mittels bewusster Kombination des Gesehenen zum Ausdruck bringen können. Das Ergebnis:
Unter 3 Sekunden wird ihnen die Benennung der Welt mit sprachlichem Denken nicht gelingen. Unter drei Sekunden ist Ihnen auch keine Kombination des Gesehenen zu einem bedeutsamen Eindruck möglich. Trotzdem erkennen Sie auf den ersten Blick, dass das Auto, das da auf die Kreuzung zufährt, jetzt schnell bremsen muss. Ein in der Wahrnehmung enthaltenes Wissen, das Ihnen sofort mit dem Augenöffnen und damit weit schneller zukommt, als es durch Nachdenken auch nur ansatzweise möglich wäre.
Passend dazu hat der Münchner Gehirnforscher Ernst Poeppel herausgefunden, dass es zwar nur 0,03 Sekunden dauert, bis die beim Sehen im Gehirn eintreffenden Informationen zu einem Gegenwartseindruck verarbeitet sind, dass es aber die 100fache Zeit braucht, rund 3 Sekunden, bis sich der Mensch mittels seines Denkens in diese Gegenwart eingeordnet hat.
Weshalb Aktivitäten, die der Mensch aus Anlass des bewussten Denkens erledigt, vom Trinken eines guten Schlucks Wein bis zum Vorsprechen von Versen, laut Poeppel in einem für Menschen typischen Drei-Sekunden-Rhythmus geschehen.
Selbstversuch und Hirnforschung zeigen somit, dass der Mensch sein Denken in puncto Schnelligkeit zumeist weit überschätzt. Zwar glauben wir alle, dass wir unser Verhalten mit dem Denken veranlassen, doch für die meisten Wechselfälle des Lebens ist das Denken mit Drei-Sekunden-Entschlüssen viel zu langsam.
Oft brauchen wir unser Denken für ein angepasst richtiges Verhalten auch garnicht. Beispiel:
Wir fahren mit dem Auto durch die belebte Stadt, weil wir den Anwalt treffen wollen, mit dem wir unser neues, von den Handwerkern falsch gebaute Haus vor Gericht zur Sprache bringen wollen. Wir sehen auch schon die zerknirschten Handwerker nach dem ungnädigen Richterspruch vor uns, wie sie den Pfusch wieder herausreißen. Und dann, mitten im erlebten Erfolg dieser Wiedergutmachaktion, da "erwachen" wir aus unseren Zukunftsgedanken, stehen mit dem Auto bereits vor dem Haus des Anwalts und müssen uns nur noch bewusst für einen von drei freien Parkplätzen entscheiden.
Eine Autofahrt, die nicht von unserem Denken gesteuert wurde, denn das war ja bis zum Eintreffen beim Anwalt, im Haus, vor Gericht und noch sonst wo unterwegs. Wir sahen und fühlten eine innere Realität, einen Tagtraum, während "jemand anders" die äußere Realitäe wahrnahm und den Wagen sicher durch die belebte Stadt steuerte. Nur bei mehrdeutigen Situationen sind wir vielleicht einmal kurz mit unserem Denken im Auto gewesen. So wie ganz zum Schluss, bei der Wahl eines von drei freien und gleichwertigen Parkplätzen, wo eine freie, von keiner Logik abhängige Entscheidung zu treffen war.
Doch was, wenn schon nicht das Denken, hat uns heil durch den Verkehr gebracht? Wer dirigierte unseren Körper genauso gut wie das Denken - nur weitaus schneller?
Erklären könnten das "denkblinde Autofahren" erworbene Automatismen. Erlernte und trainierte Verhaltensmuster, die auf bestimmte Wahrnehmungsinhalte hin ohne unser bewusstes Zutun ablaufen und dann schalten, lenken, bremsen.
Doch diese Meinung hat ein Problem, denn wären es tatsächlich Wahrnehmungsinhalte an sich, die diese Automatismen auslösten, so wäre wohl jeder in Gedanken versunkene und dabei autofahrende Mensch ein in seinen Automatismen völlig sinnlos zuckendes Bündel, denn fast jede Sinneswahrnehmung weist immer gleich dutzende Inhalte auf, die einen der Automatismen auslösen könnten. Wir bremsen aber beim Autofahren, ohne nachzudenken nicht für jeden Fußgänger oder Radfahrer, den wir sehen, sondern nur für diejenigen, die uns ansonsten in einer erwartbaren Zukunft vor dem Auto liegen würden.
Der denkblinde Fahrer reagiert also nicht auf Wahrnehmungsinhalte an sich, vielmehr wird hier eine virtuelle, nur mit der Logik erwartbare, aber noch nicht wahrnehmbare Zukunft berücksichtigt. Eine Zukunft, die aus der Gegenwart als Erkenntnis abgeleitet werden muss. Und erst diese Erkenntnis zur logisch erwartbaren Zukunft ist es dann, die den schnellen, aber blinden Automatismen "die Augen öffnet" und sie in Aktion treten lässt. - Ein anderes Beispiel, bei dem auch unser Denken mit von der Partie ist:
Sehen wir einen Hammer, dann wissen wir bereits im Moment der Wahrnehmung und ohne nachzudenken, um was es sich dabei handelt: Dass dieses Ding schwer ist und dass es, wenn es runterfällt, Schmerzen zur Folge hat, wenn es unsere Zehen trifft. Worauf etwas in uns blitzschnell den Fuss wegzieht, bevor wir drei Sekunden später auch mit dem Denken zu dem Schluss kommen, dass es gut war, dass "wir" so schnell den Fuß weggezogen haben. Und erstaunlich ist nun folgendes:
Obwohl wir in diesem Fall sehr gut nachvollziehen könnten, dass unser Denken der Fuß schonenden Aktion um Sekunden hinterherhinkte, so glauben wir dennoch, unser Denken hätte die schmerzhafte Zukunft vorausgesehen und daher den Befehl zum Wegziehen gegeben. Eine glatte Fehlannahme, doch es kommt noch "schlimmer":
Betrachten Wissenschaftler unseren Alltag, so fällt ihnen auf, dass wir tatsächlich unter einem Prozent unseres Verhaltens mit dem bewussten Denken steuern. Zwar mag unser Denken zuweilen der Anlass sein, etwas ganz Bestimmtes zu tun, etwa einen Kasten Bier zu kaufen, aber kaum ist diese bewusste Entscheidung zu einem Verhalten gefällt, so ist das Denken wieder in seinen eigenen Welten unterwegs und überlässt die weitere Ausführung des Lebens einer Steuerung, die das auch ganz ohne das Denken kann.
Etwa indem uns diese Steuerung mit dem Auto sicher zum Getränkehändler fährt, während wir denkend den Grillabend vorbereiten, die braun-gebratenen Würstchen sehen, riechen und so den Grillabend schon einmal "vorweg genießen."
Doch nicht nur, wenn es um ein tätiges Verhalten geht, auch wenn es darauf ankommt die Umwelt, ein Tier, eine Person, eine Rasse, Gegenstände, Meinungen und letztlich alles nur denkbare alltagsschnell zu beurteilen, so fällen wir dieses Urteil nicht mit dem Denken, sondern überlassen es einer Größe in uns, die das viel schneller kann als das Denken. Es ist dann, als wären wir ein Bio-Roboter, der eine Seele im Kopf durch die Gegend trägt, die zuweilen auch einmal durch die Augen schaut, aber die meist mit sich selbst beschäftigt ist.
Automatismen sind es also nicht, die unseren Körper in seinem Verhalten steuern. Und das Denken ist es auch nicht, denn das ist zu langsam für eine schnell veränderliche und daher gefährliche Welt. Das Denken ist eher eine Art König, der in der Sänfte des Körpers durch die Welt getragen wird und der, wenn nicht gerade eitel mit sich selbst beschäftigt, gelegentlich Streitfälle entscheidet oder Anweisungen gibt.
In uns muss demnach eine eigenständige, eine autonome Art von Intelligenz existieren, die zusätzlich zu der bewusst erzeugbaren Intelligenz des Denkens vorhanden ist. Eine Intelligenz, die sich mit einem König des Denkens schmückt, diesen für das schnöde Alltagsgeschäft aber nicht benötigt. Und die beste Antwort, was es mit solch einer autonomen Intelligenz auf sich haben und wie diese im Prinzip funktionieren könnte, haben ausgerechnet die Erforscher der KI, der "künstlichen" Intelligenz gefunden. Sie erkannten, dass man auch ganz ohne Denken eine weltverstehende Intelligenz erzeugen kann. Durch das Gedächtnis und dessen Arbeitsprinzip.
Ein derartiges Gedächtnis speichert konkrete Wahrnehmungen nicht als "Filmchen aus der Welt" ab, sondern es werden zunächst nur die abstrakten Inhalte der aktuellen Wahrnehmung ermittelt und zusätzlich auch noch die Logik, die diese Inhalte miteinander verbindet. Nur diese abstrakten Inhalte und die dazugehörige Logik werden dann gespeichert. Beispiel: Die Wahrnehmung eines beliebigen Rades kann man auf die Form eines Kreisbogens mit einem Mittelpunkt reduzieren. Das sind die abstrakten Inhalte der Wahrnehmung. Und eine die Inhalte verbindende Logik lautet, dass sich der Kreisbogen um seinen Mittelpunkt drehen kann.
Und sind nun diese abstrakten Wahrnehmungsinhalte samt zugehöriger Logik im Gedächtnis abgespeichert, dann ist es dem Träger dieses Gedächtnisses in Zukunft möglich, jedes Rad dieser Welt als Rad zu erkennen. Ein Riesenrad so gut wie ein Zahnrad oder ein Karussell. Vereinfacht und als Prozess ausgedrückt geht das wie folgt vor sich:
Zunächst wird die aktuelle Wahrnehmung auf ihre abstrakten Inhalte reduziert. Diese können dann aufgrund der Abstraktheit wie Symbole besonders schnell und treffsicher den vorhandenen, ebenfalls abstrakten Gedächtnisinhalten zugeordnet werden. Und zusätzlich wird die Kombination aus wahrgenommenen und gedächtnishaften Inhalten noch um jene Logik ergänzt, die dazu im Gedächtnis vorliegt.
Auf diese Weise erhält jede aktuelle Wahrnehmung in Sekundenbruchteilen eine Art Randbeschreibung, die ihr eine von Logik und Erfahrung geprägte Bedeutung gibt, auf die der Körper blitzschnell reagiert. Denken ist dazu nicht erforderlich.
Wenn also die Frage lautet, was uns die Welt sofort mit dem Augenöffnen verstehen lässt und wer oder was unser Verhalten im Auto steuert, während wir an hübsche Mädchen denken, dann heißt die mögliche Antwort jetzt:
Dahinter steckt ein Gedächtnisprinzip! Ein Prinzip, bei dem Wahrnehmungen zunächst auf ihre abstrakten Inhalte reduziert, dann mit ebenfalls abstrakten Gedächtnisinhalten kombiniert und zusätzlich noch um die Logik ergänzt werden, die zu diesen Inhalten im Gedächtnis gespeichert ist.
So erhält jede Wahrnehmung für jedes Lebewesen ohne zu denken eine Bedeutung, die sich nach dem Inhalt seines ererbten und/oder erworbenen Gedächtnisses richtet. Tiere können sich daher - abseits der Instinkte - sehr klug verhalten. Ihr Gedächtnis und dessen Arbeitsprinzip macht sie klug, ohne dass sie dazu bewusst irgendetwas beitragen müssten oder könnten. Das zeigt auch das folgende Beispiel:
Eine junge Katze trifft auf einen Hund und wird von ihm gebissen. Diese Katze wird in Zukunft jeden Hund als Feind erkennen, obwohl alle diese Hunde immer völlig anders aussehen werden. Die Identität der abstrakten Merkmale in Wahrnehmung und Gedächtnis kompensiert die Ungleichheit in der konkreten Erscheinung. Die Katze lernt so aus einem einzigen Zwischenfall für unzählige inhaltlich-logisch ähnliche. Oder anders betrachtet: Das Lernen schreitet mit solch einem Gedächtnis millionenfach schneller voran, als es mit einem konkret erinnernden Gedächtnis möglich wäre.
Gleichartiges muss aufgrund der Abstraktion auch nur ein einziges Mal abgespeichert werden, um danach für unzählige Wahrnehmungen als inhaltlich-logische Ergänzung zur Verfügung zu stehen. Das spart Speicherplatz, Hirnkapazität, denn so, wie man mit wenigen abstrakten Ziffern die Welt für unendlich viele konkrete Fälle voraussagen, berechnen kann, so können mit abstrakten Gedächtnisinhalten unendlich viele konkrete Wahrnehmungen um eine logisch erwartbare Zukunft ergänzt werden. Nicht bewusst, sondern als Folge einer logischen Verknüpfung der abstrakten Inhalte. - Mehr noch:
Ist ein Gedächtnis abstrakt angelegt, so dürfen Wahrnehmungen auch ohne Probleme unvollständig sein, denn aufgrund der Abstraktion können Teilwahrnehmungen inhaltlich-logisch sehr treffsicher zur Vollständigkeit ergänzt werden. Auch eine so rudimentäre Wahrnehmung wie das hier: :-) Und tatsächlich macht denn auch der Input seitens der Sinnesorgane immer nur einen Bruchteil dessen aus, was im Gehirn eines Tieres oder Menschen an ergänzender, wahrgenommener Gesamtaktivität entsteht.
Kurz: Es gibt eine vom Menschen kaum beachtete prinzipielle Art von Intelligenz, die auf einem Arbeitsprinzip des Gedächtnisses beruht und die einen eigenen, einen neuen Namen verdient: Der autonome Urverstand! Urverstand, weil diese Intelligenz seit Urzeiten alle wahrnehmenden Lebewesen ihre Welt ganz ohne Denken verstehen lässt. Und autonom, weil man es mit einer Intelligenz zu tun hat, die als Verknüpfungsprinzip so wenig unter der Kontrolle der Lebewesen steht wie die Ergebnisse der Mengenlehre - einer Verknüpfungslogik, die für unser Universum gültig ist.
Unbewusste, blitzschnell zu Ergebnissen gelangende Intelligenz ist also erklärbar. Hier mit einfachen Worten, wissenschaftlich mit Mathematik. Und mit der Aussage, dass der Hintergrund der wahrgenommenen Welt spätestens seit dem Nobelpreisphysiker Werner Heisenberg als abstrakt angesehen werden muss. Womit jedem Lebewesen aus Prinzip die abstrakten Inhalte der Welt als Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalt zur Verfügung stehen. Eine Ergänzung aus der Physik, ohne die es unsinnig wäre, eine autonome, auf der Verknüpfung abstrakter Inhalte beruhende Intelligenz anzunehmen.
Bleibt aber natürlich die naheliegende Frage, wie sich dieser autonome Urverstand bei den Lebewesen von damals bis heute, von der Urzeit bis zum Menschen, bemerkbar machen soll. Und um das zu verstehen, bietet es sich an, zunächst einmal die älteste Verhaltenssteuerung des Menschen näher zu betrachten - die sogenannten Instinkte.
Instinkte sind ererbte Verhaltensmuster, die zu bestimmten Wahrnehmungen ähnlich wie Automatismen stur ablaufen. In der Regel handelt es sich um bestimmte Verhaltensweisen bei Fortpflanzung, Gefahr, Brutpflege und anderem. Das Instinktverhalten entspricht dabei dem Verhalten der Ahnen. Besser: Der Summe der Erfahrungen, die mit einem solchen Verhalten gemacht wurden.
Und weil es sich um eine Summe handelt, ändert sich das Instinktverhalten erst dann, wenn überaus viele Einzelschicksale die Untauglichkeit eines Verhaltens durch Dezimierung der Population erwiesen haben. Wenn zufällige Mutationen im Verhalten bessere Überlebenschancen haben, sich durchsetzen können.
Auch der Mensch hat solche Instinkte, trotz seines hochentwickelten Urverstandes und trotz eines bewusst steuerbaren Denkens.
Hören wir etwa einen sehr lauten Dauerton, zu dem der Urverstand blitzschnell keine gedächtnislogische Bedeutung erstellen und das Denken keine mögliche Bedeutung finden kann, dann meldet sich als Nothilfe der uralte Fluchtinstinkt. Mit dem intensiven Gefühl fliehen zu sollen.
Ein Gefühl, das sich bei Nichtbefolgung und bleibender Dauertonwahrnehmung steigern kann, womit es in der Lage ist, beim Menschen Urverstand und Denken zu überwinden. Der Mensch flieht dann rein instinktgesteuert - in gefühlter Panik.
Aber auch unsere anderen Instinkte melden sich über Gefühle, etwas Bestimmtes tun oder lassen zu sollen. So verspürt ein Menschenmännchen bei Wahrnehmung eines hübschen, Gesundheit und Jugend anzeigenden Pos eines Menschenweibchens Lust auf Sex. Und der Geruch faulenden Fleisches lässt Männchen wie Weibchen mit dem Gefühl des Ekels instinktiv vor der Speise zurückweichen. Alles keine Sache der Überlegung, sondern des aufsteigenden Gefühls bei den Instinkten.
Und da man nun zeigen kann, dass der autonome Urverstand nichts anderes ist, als die Fortführung der Instinktsteuerung, nur dass nicht mehr eine Summe von Erfahrungen, sondern ein einziges individuelles Erlebnis das Verhalten in der Zukunft bestimmen kann, wird verständlich, dass sich der Urverstand beim Tier, und auch beim Menschen, heute noch genauso zu Wort meldet, wie sein Urahn - der Instinkt. Mit Gefühlen, mit einem gefühlten Wissen, das uns ganz ohne unser Zutun, sozusagen "instinktiv auf die moderne Art", schneller reagieren lässt, als wir es mit dem Denken je könnten.
Wir glauben zwar, die Gefühle, die uns zu unseren Welt- und Selbstwahrnehmungen entstehen, entstammten unserer Seele, wären sozusagen der "herzliche" Äußerung zu dem, was uns an Welt- und Selbstsicht widerfährt. Doch so ist es nicht.
Die Gefühle, die wir aus unterschiedlichsten Anlässen erleben, manchmal auch "hausgemacht" aus Anlass unseres Denkens und Handelns, sind die ältesten Zügel, mit denen die Evolution die Lebewesen in ihrem Verhalten und heute beim Menschen bis in dessen Denken hinein steuert.
Gefühle sind also keine froh, traurig, selbstbewusst oder niedergeschlagen machenden Äußerungen einer unbekannten Seele, sondern die Folge davon, dass wir als Menschen die gleiche Geschichte wie alle anderen Lebewesen auch haben. Lebewesen, deren Verhalten schon immer einer Steuerung bedurfte und die schon immer über Gefühle erreicht wurde.
Warum wir trotzdem glauben, in den Gefühlen unsere Seele unser eigentliches Ich zu erkennen, das hat etwas damit zu tun, dass unser Ich sich aus der Überschneidung von Instinkten, von Urverstand und von Denken bildet.
Doch dazu kommen wir später. Jetzt steht erst einmal die Frage an, wie es aufgrund eines abstrakten Gedächtnisses dazu kommen kann, dass wir im Laufe des Lebens alle eine unterschiedliche Persönlichkeit entwickeln. Und was Persönlichkeit ist.
Will man bildlich verstehen, was es mit abstrakten Gedächtnis auf sich hat, will man also verstehen, welche Ursache jene Gefühle haben, die uns der autonome Urverstand zu unseren Wahrnehmungen als deren Bedeutung hinzugesellt, dann kann man gut auf ein Modell aus der modernen Physik zurückgreifen. - Einstein lässt grüßen.
Stellen Sie sich daher das Gedächtnis jetzt einmal als ein frei in der Luft gespanntes, feines Fischernetz vor, das aus Fäden der Logik eng geknüpft sei. Lege ich nun auf dieses Netz emotional äußerst belastende Inhalte, so bilden sich um diese Inhalte tiefe Trichter. Der Effekt: Andere Erlebnisse werden über die Fäden der Logik mit dem tiefen Trichter verbunden, erhalten über das verzerrte Netz die jeweilige Bedeutung des schwerwiegenden Erlebnisses durch logische Nähe übertragen.
Dieses Bild zeigt auch sofort, was passieren muss, wenn sehr schwerwiegende Inhalte durch den ausgeprägten Trichter dafür sorgen, dass immer mehr Inhalte aus unserem täglichen Erleben, aus gewählten Gedanken und vor allem aus ungesteuerten Träumen dort mithineingezo gen werden. Dieses Bild ist selbsterklärend. Bis zum Riss, bei dem die Gedächtnislandschaft wieder verflacht, aber dafür nun Lücken aufweist. Gedächtnislücken. Und Bereiche des Gedächtnisses, in denen neue Erfahrungen verschwinden wie in einem schwarzen Loch, als gäbe es keine Logik, die sie halten wolle.
Man sollte sich ein Gedächtnis, bei dem es sich um durch Logik verbundene Inhalte handelt, also nicht statisch als "Gedächtnisschrank" mit Schubladen vorstellen, die auf und zu gehen. Aber auch nicht als eine unverständliche Geistesmathematik.
Das Bild des Netzes zeigt diese komplexe Mathematik in geometrischer Darstellung! Und dann erkennt man ganz ohne Anstrengung eine "Gedächtnislandschaft" mit Höhen und Tiefen, entstanden durch Erlebnisse, Gedanken und Träume, die wie die Gewichte in einem Netz wirken und durch dessen Fäden der Logik verbunden sind.
Und stellt man sich nun noch vor, dass dieses Netz durch die ständig "einfallenden" leichten, aber auch schweren Erfahrungen auf und nieder schwingt, so dass besonders "tiefen Einschlägen" oft ein kurzes Aufschwingen ins Positive folgt, so erhält man ein passendes Bild zu einem dynamischen Gedächtnis, zu einem dynamischen Urverstand. Eine bildliche Erklärung, warum Depressionen sehr oft eine Nachschwankung in die Manie, in den übersteigerten "Frohsinn an sich selbst" haben.
Und noch etwas stellt dieses dynamische Gedächtnismodell klar:
So veränderlich wie das Gedächtnis in seiner "Landschaft" in ihren Höhen und Tiefen ist, so dynamisch veränderlich sind auch die Gefühle, die uns als urverstandliche, als gefühlte und oft nicht gerufene Beigabe zu jeder Welt- und Selbstwahrnehmung erreichen. Schon ein einziger positiv oder negativ schwerwiegender Traum kann uns die Welt und uns selbst am nächsten Morgen in einem völlig neuen, anderen Licht zeigen, ohne dass wir uns dieses neue Lebensgefühl erklären könnten.
Es scheint dann zwar, als stecke hinter diesen unerklärten Gefühlen eine launische und unberechenbare zweite Persönlichkeit in uns, doch tatsächlich begegnen wir hier den Wirkungen eines dynamischen Gedächtnisses, das überwiegend durch Inhalte geformt wird, die wir nicht kennen. Was zur Folge hat, dass wir über den Urverstand, der mit dieser unbekannten Gedächtnislandschaft angesprochen ist, mittels Gefühlen zu einem Verhalten veranlasst werden, dessen Sinn und Ziel wir nicht kennen. Wir glauben das lediglich immer dann, wenn unser Denken in unserem Verhalten eine zielgerichtete Logik zu erkennen glaubt, die auch die seine sein könnte.
In unserem ersten, blitzschnellen, weil autonomen Welt- und Selbstverstehen sind wir also die Gefühlssklaven unseres Gedächtnisses. Und wie sehr wir als Sklaven dieses dynamische Gedächtnis brauchen, um uns lebendig zu fühlen, das zeigt sich, wenn im Laufe eines Lebens das "Gedächtnisnetz" mit immer mehr Inhalten belastet wird:
Das Netz büßt dann an Schwingungsfähigkeit ein, und der ältere Mensch wird durch freudige oder traurige Erlebnisse nicht mehr in dem Masse erregt und im Lebensgefühl beeinflusst, wie der junge. Er hat einen gewissen Status emotionalis. Und da sich die Landschaft im Laufe der Zeit fest um die einzelnen "Trichter" gefügt hat, ist auch das Weltverstehen des älteren Menschen zumeist sehr fest gefügt - und invariabel.
Leichter verständlich, wenn man sich an dieser Stelle daran erinnert, dass unser Weltverstehen zu über 99% nicht etwa mit dem bewussten Denken, sondern blitzschnell und autonom erzeugt wird. Es kommt uns als das Ergebnis von gedächtnisbezogenen Ergänzungen mit unseren Selbst- und Weltwahrnehmung zu.
Wie sehr wir diese Art von Gedächtnis und den sich aus ihm erklärenden autonomen Urverstand brauchen, das wird auch erkennbar, wenn jemand diesen Urverstand nicht mehr deutlich wahrnimmt. Dann erhält man einen Menschen, der die Welt und sich selbst nicht mehr "automatisch", in der Wahrnehmung versteht, der daher furchtbare Ängste erleidet und sich grübelnd langsam, oft schon katatonisch, zu allen Sinnes- und Selbstwahrnehmungen eine mögliche Bedeutung (aus)denken, (er)finden muss. Der Betroffene lebt in einer für andere unverständlichen, weil "privat bedeuteten" Welt.
Und wenn er behauptet, man habe ihm alle Organe vergoldet oder bestrahle ihn mit bösen Wellen aus der Nachbarschaft oder auch aus dem All, dann ist das eine von ihm erdachte Deutung seiner Selbstwahrnehmungen, an die er glauben muss, denn er hat nichts anderes mehr, an das er glauben könnte.
Die bisher völlig "geräuschlos" und unbemerkt arbeitende Intelligenz, sein Urverstand, der ihm seine Wahrnehmungen erst verständlich machte, schweigt, und er nimmt nur noch sein eigenes Denken wahr. Und das in der "Stille des Urverstandes" so laut, dass er meint, er höre fremdes Denken oder sein Denken könne von Fremden gehört oder gesteuert werden, er habe sozusagen keine Grenzen mehr.
Eine Psychose, entstanden durch den zeitweiligen, oft auch schwankenden Verlust des gewohnten Urverstandes in der Wahrnehmung. Der Verlust der autonomen Intelligenz "zugunsten" eines Denkens, das sich mit Aufgaben konfrontiert sieht, die es nicht erfüllen kann, denn die Bedeutungen der Dinge haften diesen ja nicht an wie Farbe, sondern diese Bedeutungen entstehen erst aufgrund eines Abgleichs von Gedächtnis- und Wahrnehmungsinhalten. Ein Prozess, viel zu komplex, um mit dem Denken auch nur ansatzweise bewältigt werden zu können. - Im Vergleich:
Wollten wir das, was uns auf dem Monitor des Computers ein verstehbares Bild entstehen lässt, mit unserem Denken steuern, so wären wir macht-, hilf- und letztlich eben bildlos. Und das, obwohl wir die Prozesse gut verstehen und sie sogar selbst erfunden, sozusagen selbst in die Welt gebracht haben. Ähnlich ist es auch mit Gedächtnis und Urverstand:
Obwohl wir durch die Auswahl bestimmter Lebenssituationen und auch Gedanken das Gedächtnis gezielt prägen können, so können wir nicht bewusst steuern, wie sich uns daraus ein gefühltes Welt- und Selbstbewusstsein ergibt. Das bleibt autonom.
Und scheint es schon erstaunlich, dass es tatsächlich eine Größe namens Urverstand gibt, die von den Psychologen das Unbewusste genannt wird, und die uns in unserer Welt- und Selbstwahrnehmung deutlich beeinflusst, auf die wir aber keinen Zugriff haben, so ist noch eine Steigerung im Erstaunen möglich:
Und zwar dann, wenn man sich mit der Logik die Frage stellt, was es wohl mit unserem Denken auf sich haben kann und muss. Also mit jener Errungenschaft, von der manche glauben wollen, sie sei unmittelbar auf Gott zurückzuführen, auf dessen uns "eingehauchten Geist". - Es gibt eine bessere, wenn auch erstaunliche Antwort.
Wie bereits angesprochen gibt es eine Linie der Entwicklung, die von den Instinkten als summarischem Gedächtnis der Ahnen zum individuellen Gedächtnis des einzelnen Lebewesens führt. Der Instinkt, der die Erfahrungen der Ahnen berücksichtigt, wurde durch den Urverstand ergänzt, der auch individuelle Erfahrungen berücksichtigt, wenn es darum geht, unser Verhalten überlebenstauglich zu steuern.
Und eben weil es diese nachvollziehbare Entwicklung gibt, deshalb sollte sich das Denken des Menschen, diese neueste Errungenschaft der Evolution, aus einer Fortführung dieser Entwicklungslinie ergeben. Als Überwindung eines Nachteils. Also genau so, wie das individuelle Gedächtnis eine Überwindung der Nachteile des summarischen, des vererbten Gedächtnis' ist, das keine Lernfähigkeit im Leben kennt und zulässt.
Wenn wir also für den Urverstand feststellen, dass er als Verknüpfungslogik keinem unmittelbaren Zugriff durch das Wollen unterliegt, also nicht steuerbar ist, so wäre es eine Überwindung dieses Nachteils, eine mit Wollen steuerbare Intelligenz zu besitzen.
Und wie wir es von uns selbst wissen, erfüllt das Denken genau diese Aufgabe. Und noch andere mehr. Es kann Handlungen einleiten, die das Gefühl des erfahrungsgemäß Vernünftigen zugunsten einer eigenen Vorstellung zurückdrängen. Es kann somit ein Lebewesen aus der Sklavenhaltung der gedächtnisorientierten Verstandestradition befreien.
Und obwohl es zunächst kaum vorstellbar erscheint, dass ausgerechnet dieser mögliche Gegner des Urverstandes von diesem selbst geboren wurde, so ist unser Denken tatsächlich der nächtlich gezeugte Sohn des Urverstandes. Das erklärt sich so:
Höhere Lebewesen, die einen ausgeprägten Urverstand haben, zum Beispiel die Säugetiere, aber auch andere, sind nicht ständig wach, sondern kennen unterwache oder Schlafzustände in einem mehr oder weniger festen Rhythmus. In diesem Zustand liegen dann keine oder eher nur sehr schwache Sinneswahrnehmungen vor, so dass viel Gehirnkapazität bereitsteht, in der sich das individuelle Gedächtnis ohne den Anlass von Sinneswahrnehmungen abbilden kann. Also nicht als Ergänzung, sondern aus sich heraus, eigenständig - als Traum.
Da nun aber Gedächtnisinhalte grundsätzlich abstrakter Natur sein müssen, also nur Inhalt und Logik aufweisen, keine konkret wahrnehmbare Gestalt haben, können und müssen sie eine dem Inhalt und der Logik entsprechende Gestalt im Traum erst noch erhalten.
Die Mathematik des Geistes zieht sich sozusagen die passenden Kleider der Wahrnehmbarkeit über. Womit der unnahbare Vater einem Kind im Traum als glatter Fels erscheinen mag, dessen Höhe es nicht erreichen kann, ohne abzurutschen und sich wehzutun.
Die Formlosigkeit abstrakter Gedächtnisinhalte hat also zur Folge, dass diese im Traum ein beliebiges, aber doch logisch passendes Kleidchen der Wahrnehmbarkeit erhalten. Der Traum als unmittelbarste Wahrnehmung von Gedächtnisinhalten bekommt so die Funktion eines Vergleichs, weil sich Unverstandenes in anderer Weise präsentieren und deshalb "im Schlaf" doch noch verstanden werden kann.
Die freudsche Traumdeutung, hier erklärt aus dem Umstand, dass ein Gedächtnis, das zum neuen Weltbild der Physik passen und das Intelligenz im Sinne von Urverstand ermöglichen muss, zwingend abstrakte Inhalte hat, deren Wahrnehmung im Traum eine Hülle verlangt, die der damit verbundenen Logik Rechnung trägt. In einer Tiefe des Erlebens, die den Höhen und Tiefen der Gedächtnislandschaft entspricht.
Und sollte die Landschaft tiefe Trichter aufweisen, sollte eine tief gefühlte Depression vorliegen, kann es daher sinnvoll sein, Träume der darstellenden Art, vorwiegend Morgenträume, nicht zuzulassen durch Schlafentzug. So wird zumindest vermieden, dass sich durch immer gleiche, das Gedächtnis bildhaft darstellende Traumerlebnisse, selbstverstärkende Effekte ergeben, mit denen die Tiefen noch tiefer werden.
Besser wäre es jedoch ohne Frage, den Menschen in dieser Schlafentzugszeit mit Träumen zu versehen, die von einem Therapeuten aktiv begleitet werden. Dazu jedoch erst gegen Ende dieses Aufsatzes, bei der Definition von Hypnose mehr.
Interessant ist hier nur die Frage, was passieren muss, wenn ein beliebiges Lebewesen durch eine evolutionär zunehmende Hirnkapazität (beim frühen Menschen nimmt man eine Abnahme der Gebissmuskulatur als mögliche Ursache an) nicht nur des Nachttraums, sondern auch des Tagtraums fähig wird. Wenn sich ihm also zusätzlich zur autonom vom Urverstand vorbedeuteten äußeren Realität noch eine innere Realität auftut, die ihm im günstigen Fall die Außenwelt in traumhaft vergleichender Darstellung zeigt.
Ist das der Fall, so kann das Lebewesen seine Außenwelt erstmals in Kritik nehmen, es kann der Außenwelt die zusätzlich erlebte Innenwelt entgegensetzen. Und zwar umso besser, je mehr es ihm gelingt, seine Tagträume zu provozieren, sie zu lenken und aus ihnen auszuwählen. Also genau das zu tun, was die Kinder der Menschen in den ersten Lebensjahren - in gezeigter Zeitraffer-Evolution - auch heute noch tun - tagträumend denken zu lernen. Eine eigene, gewollte, steuerbare Intelligenz zu entwickeln.
Sic!
Denken ist bei dieser Herleitung also nichts anderes als die logische Folge davon, dass sich abstrakte Gedächtnisinhalte, die zunächst nur eine autonome Intelligenz namens Urverstand ermöglichen, bei zunehmender Hirnkapazität nicht nur als vergleichende Nacht-, sondern auch als Tagträume äußern können. Als erlernbar steuerbare innere Welten. Womit der Art, der das in ihren einzelnen Lebewesen widerfährt, ein erstes, ein frühes Bewusstsein entsteht.
Bewusstsein, hier verstanden als die Möglichkeit, der vorgegebenen und urverstandlich vorbewerteten Welt des Äußeren eine innere Welt des selbst gesteuerten Gedachten entgegensetzen zu können. Als gewolltes und gefühltes Selbst, als Individuum.
Und sogar die Art und Weise, wie ein solches, frühes Bewusstsein als Gefühl entsteht, können wir heute noch gut in einer Art Zeitraffer nachvollziehen, wenn wir einmal aus einem tiefen Traum langsam erwachen. Vor allen Dingen morgens, dann wenn unser Gedächtnis dazu neigt, besonders intensiv Gestalt anzunehmen.
Im Traum hat der Mensch kein Bewusstsein, zumindest keines im Sinne von Descartes und auch keines im Sinne der Medizin, denn er kann keine Kritik an dem Erleben äußern, er muss die wahrgenommene Traumwelt einfach hinnehmen und durchleben, ohne Zweifel an ihr zu haben. Er weiß nicht einmal, was Zweifel ist oder sein könnte.
Erwacht der Mensch aber langsam aus dem tiefen Traum, so bemerkt er eine weitere, äussere Realität, er liegt im Bett statt in der Folterkammer des Descartes, und er kann dann die Traumrealität in Frage stellen. Er kann feststellen, dass ihn diese Realität nur im Schlaf betrifft, und er hat so Bewusstsein zu seiner Wachrealität (wieder)erlangt.
Ähnlich, nur umgekehrt und über Jahrzigtausende verteilt, ist der frühe Mensch wohl einst aus seiner Wachrealität aufgewacht. Er hat zunehmend erkannt, dass es noch eine innere, steuerbare Tagtraumrealität gibt, hat erkannt, dass es eine ihn individuell betreffende innere Welt gibt, die er der alle betreffenden äußeren Welt entgegenstellen kann. Die er, bei einiger Übung, auch als seine eigentliche Welt anerkennen kann.
So fand der Mensch laut hier gezeigter Logik zu seiner Seele, zu einem Selbst- und Ich-Verstehen, zu Bewusstsein. Genau so, nur in Zeitraffer, finden auch unsere Kinder zu frühem Bewusstsein. Und so ähnlich wie unsere Kinder heute sehr schnell, weil angeleitet lernen, so lernte es der frühe Mensch langsam, weil aus eigener Kreativität, seinen inneren Welten mit Lauten und Symbolen eine wahrnehmbare Form zu geben, in der er sie mitteilen, kommunizieren konnte.
Womit aus dem isolierten Bewusstsein des Individuums ein allen Menschen gemeinsames Bewusstsein von Existenz entstand. Das von allen geteilte Gefühl, beseelt zu sein.
Bald hatte es der Mensch auch gelernt, in seinen Wachträumen eine geistgeschaffene, bessere innere Welt zu sehen, die er dann außen materiell nachbilden konnte, statt wie früher als Tier warten zu müssen, dass sich die bessere Welt durch Zufall ergäbe. Der gewollte Fortschritt wurde möglich, und die Evolution des Zufalls wurde durch eine gedanklich gesteuerte Evolution abgelöst, die rasanten Fortschritt mit sich brachte.
Wir Menschen sind somit Lebewesen, die neben den eher verdeckten Instinkten, über einen hochentwickelten Urverstand verfügen und zusätzlich über eine hochentwickelte Tagträumerei. Ein sehr präzise in den Inhalten steuerbares, daher in Begriffe fassbares, mitteilbares Denken.
Womit auch die alte Frage geklärt ist, wie der Mensch überhaupt gezielt denken kann, wenn sich doch schon 10 verschiedene Gedächtnisinhalte zu 3,6 Millionen Gedanken fügen lassen. Wie erzeugt er aus dieser Vielfalt ein sinnvolles Ergebnis, ohne alle denkbaren Ergebnisse kennen zu können?
Die Antwort: Wir erzeugen unsere Gedanken nicht aktiv, sondern diese kommen uns nach wie vor über das Gedächtnis unmittelbar zu. Als mögliche, weil von den engen Prämissen des überlebenssichernden Urverstandes befreite, "kreative" Verknüpfungen der Gedächtnisinhalte. Und aus dieser Vorauswahl, aus dem, was wir davon zulassen wollen oder können, aus diesem Angebot wählen wir aus und greifen steuernd und lenkend ein.
Doch wie jeder Fortschritt, so bringt auch ein bewusst steuerbares Denken Nachteile mit sich. So können wir unsere Denkurteile gezielt gegen die des Urverstandes stellen, den "eigenen" Urteilen mehr glauben als der bewährten Logik des Lebens. Zwar macht genau dieser mögliche innere Widerspruch, dieses Aufbegehren, unser Bewusstsein aus, aber:
So entwickeln sich auch Neurosen. Als bewusst oder unbewusst denkerzeugte Fehlbeurteilungen von Welt und Selbst, die das Gedächtnis prägen und denen der Betroffene schon bald nicht mehr zu entrinnen vermag, weil ein geprägtes Gedächtnis auch den autonomen Urverstand und damit das Alltagsverstehen eines Menschen prägt.
Womit der Neurotiker zum Gefangenen von Vorstellungen wird, um deren Unlogik er aber, anders als der Psychotiker, immerhin weiß. Was die Sache aber für ihn nicht besser macht, die Qual kann sogar größer sein.
Das Denken kann auch Ursache der pathologischen Ängste sein. Und zwar dann, wenn ständig erneuerte Gedanken zu einem möglichen Versagen von Körper und Geist den autonomen Urverstand auf höchste Empfindlichkeit "einstellen". Mit der Folge, dass zu jeder harmlosen Körper- oder Weltwahrnehmung Gefühle erlebt werden, wie sie ansonsten nur bei einer realen tödlichen Gefahr gespürt werden würden. Nun aber sinnlos, weil ohne eine objektiv wahrnehmbare Gefahr.
Korrigierbar aber dadurch, dass der Betroffene sein Denken wieder zurücknimmt, seinem Körper und dem Leben wieder zu vertrauen lernt. Ganz real oder auch in geführten Träumen, denn für das Gedächtnis und damit für den Urverstand macht die Herkunft der neuen, korrigierenden Inhalte keinen Unterschied. Es unterscheidet nicht zwischen Traum und Realität, weil beide identische Voraussetzung haben – wahrnehmbare Inhalte, die durch eine Logik verbunden sind.
Was noch fehlt, um das gefühlte Selbst, das Ich des Menschen und dessen Herkunft vollständig, wenn auch nur im Denkansatz zu beschreiben, das ist das Triumvirat, aus dem sich dieses Ichgefühl bildet.
Da haben wir zum einen die uralten, beim Menschen verdeckten Instinkte, die uns, wenn, dann mit starken Gefühlen zu einem bestimmten Verhalten veranlassen wollen. Zu Handlungen, die sich bei unseren Ahnen bewährt haben.
Zum anderen haben wir den autonomen Urverstand des Menschen. Als eine gedächtnisbasierte Größe ist er geprägt durch das wahrgenommene Vorleben durch die Eltern. Deren Verhalten in den verschiedensten Situationen ist es, welches uns in vergleichbaren Situationen die Welt und uns selbst auf eine bestimmte Art und Weise wahrnehmen lässt. Ein "automatisches" Verstehen, gegen das wir mit dem Denken zunächst nur wenig ausrichten können. Und andere können das schon garnicht, jedenfalls nicht auf die Schnelle.
Und dann ist da noch die jüngste Entwicklung im Zuge der Evolution - das Denken. Geprägt vor allem durch elterlich-schulische Bildung, also durch die mitgeteilten Erfahrungen, die sie und andere mit ihrem Denken gemacht haben. Mit dem auf diese Weise weitergegebenen Denken, mit der erlernten Logik eines sinnvollen Denkens, können wir dann zunehmend die Welt, aber auch uns selbst durchschauen. Womit zunächst einmal nur deutlich wird:
Der Mensch braucht zwei Formen der Erziehung. Die seines Urverstandes durch Vorleben, so wie im Tierreich auch. Und die seines Denkens, durch mitgeteilte Denkinhalte und Vermittlung der Logik, wie man derartige Inhalte zu sinnvollen, kreativen Konstrukten verbindet. Deutlich wird an dieser Stelle aber auch, und darauf kommt es hier an:
Der sich überschneidende Bereich aller drei Einflüsse, Instinkt, Urverstand und Denken, wovon zwei durch Erziehung geprägt werden können, ist es, der das von uns gefühlte Ich ausmacht, unsere Seele. In allen Facetten und in wechselnden Anteilen von Trieb, Verstand und gewollter Vorstellung, je nach Erziehung, Lebensumständen und Kultur. Trotzdem nehmen wir immer nur die Spitze eines Eisberges wahr, denn mit Ausnahme der Triebe beruhen sowohl Urverstand als auch Denken in ihrer Ausprägung auf der "Topographie" unseres Gedächtnisses. Und die bleibt uns in der Regel verborgen. Zu Ausnahmen später.
Soweit zu dem, was einen Menschen bei dieser Genealogie seines Geistes ausmacht.
Und wer nun glaubt, dieses Modell reduziere diesen Geist, sein Ich, auf ein Gehirn, welches das eben in Worten und Bildern Gezeigte durch neuronalen Stoffwechsel und sonstige Vorgäue bewirke, der irrt zutiefst. Richtig verstanden und mit dem entsprechenden Hintergrund besagt das hier vorgestellte Modell auch, dass wir ureigentlich geistig und damit abstrakt existieren, ohne Zeit und Raum, aber dass wir diese Existenz "derzeit" so wahrnehmen, als wäre sie materiell. Und zwar in genau dem Rahmen, in dem sich unsere und alle Existenz materiell wahrnehmen, also auch in stofflichen Gehirnvorgängen darstellen lässt.
Eine Einsicht, die von den Vordenkern der modernen Physik und den Nachdenkern der vergangenen Zeiten geteilt wird. Und sie besagt in einem Postulat: Unser Bewusstsein ist das eines ursächlichen Geistes, der sich in seiner Schöpfung in allem was ist und auf einem zufallsgeprägten Weg noch sein wird, neu, weil materiell begreifen lernt. Ein Pantheismus.
Ein Pantheismus, der sich weit über jeden personal gedachten Gott erheben kann, weil das, was wir aus unserem Leben machen und an anderem Leben bewirken zum Schicksal Gottes und damit zu unserem Schicksal wird. Als Gesamterfahrung aller Zeit und allen Lebens in dieser Zeit. Hier und sonst wo in diesem Universum. Gestern, heute, morgen, doch das Resultat, die Erfahrung, ist geistig und damit aus unserer Sicht ewig.
Schöne Worte, zum Schluss. Klar sollte aber auch sein, dass man die Dinge nicht so einfach, so scharf begrenzt und so auf das Wesentlichste reduziert sehen darf, wie es in einem solchen Aufsatz zur Herkunft und kurz auch zum Sinn des geistigen Menschen geschehen muss. Das wäre die falsche Lehre - und sie führte ins Leere. Doch klar ist auch:
Das Spiel der Moderne, die Unkenntnis und Missverstehen zum Menschen und zu dem, was ihn ausmacht, hinter semantischen Häufungen von gelehrt erscheinenden Worthülsen zu verstecken beliebt, führt in die Leere. Genauso wie der heute bereits unüberhörbare Ruf der Esoterik, die alles und jedes mit flüchtigem Geist und energetischer Strömung erklären will, begründet mit Schwingungen.
Sinnvoller erscheint mir, eine Genealogie zu sehen, in der der Geist, das Bewusstsein des Menschen, nicht als unerklärbarer "Ausreißer" der Materie oder göttlicher Odem erscheint, sondern als Folge einer nachvollziehbaren Entwicklung des Lebens - vom Instinkt bis zur heutigen Ausprägung beim Menschen - logisch erklärt wird. Doch da nun solch ein Versuch, ohne Nachweis seiner Berechtigung nichts wert ist, nicht einmal das Papier, auf dem er steht, hier der bereits im Vorwort angekündigte Nachweis.
Ein Nachweis, der sich auf die Erfahrung stützt, dass das Allgemeine in der Regel dann richtig erklärt wurde, wenn dieses Allgemeine auch das Besondere erklären kann, ohne zu Hilfskonstruktionen greifen zu müssen, ohne auf Neuigkeiten angewiesen zu sein.
Hier nun soll es der erklärte Zustand des alltäglichen Bewusstseins ermöglichen, den besonderen Zustand der Hypnose in seiner Ursache und Wirkung erstmals allein mit der Logik zu erklären. Befreit von allen Mythen und Mysterien. Deshalb zunächst zu den Phänomenen, die sich mit oder unter Hypnose laut Erfahrung erzielen lassen:
Der Hypnotisierte verfügt über ein Erinnerungsvermögen bis in die Kindheit hinein. Unter Anleitung kann er sich sogar an Dinge erinnern, die ihm damals, als er sie eher beiläufig wahrnahm, nicht bewusst geworden sind. Auch ist er zu sehr belastenden Körperstellungen fähig, die seine übliche Leistungsfähigkeit weit überschreiten. Selbst Schmerz muss der Hypnotisierte nicht fühlen, und eine intensive Zahnbehandlung wird ohne örtliche Betäubung gut durchgestanden. Es ist, als seien in Hypnose die Alltags-Grenzen von Gedächtnis, Kraft und Wahrnehmung verschoben.
Einem Hypnotisierten kann in einer Show erklärt werden, er sei ein Hund und der so Erklärte fühlt sich als Hund, verhält sich wie ein Hund. Er schlüpft je nach Anweisung in die verschiedensten Rollen, windet sich wie eine Schlange, doziert wie Einstein, im festen Glauben, er sei Einstein. Es ist, als habe man ihm seinen Verstand genommen und diesen durch den Rapport des Hypnotiseurs ersetzt. Auch Anweisungen, die über die Zeit der Hypnose hinweg Gültigkeit haben sollen, werden wirksam. Bestimmte Wachwahrnehmungen können dann bestimmte Gefühle hervorrufen und es ist dann so, als hätte man dem Betreffenden unter Hypnose eine Art Instinkt angelegt, von dem er zwar nichts weiß, dem er aber bei Eintritt des Schlüsselreizes folgen will.
Auch das Wahrnehmungsspektrum kann durch Hypnose in den Alltag hinein erheblich verändert werden. So kann man einem Hypnotisierten erklären, dass er einen Mann in dunkler Kleidung und mit Hörnern am Kopf im Raum vorfinden werde, dieser weise aber leider keine Türen auf. Nach Rücknahme der Hypnose wird der Betreffende im Hypnotiseur den Teufel erkennen, Angst haben, fliehen wollen, die Tür aber nicht finden, obwohl sie doch für jeden anderen sichtbar vorhanden ist. Es ist dann so, als hätte man dem Hypnotisierten sein wahrnehmendes Weltverstehen genommen.
Und das öffentliche Erschrecken darüber, wie leicht sich der Mensch in Wahrnehmen, Denken und Fühlen unter Hypnose beeinflussen lässt, ist groß. Und deshalb tritt die seriöse Hypnose-Therapie gegen Bedenken an, deren Förderer sie letztlich selbst ist, eben weil auch sie nicht dezidiert erklären kann oder will, was da genau vor sich geht. Denn der Begriff Trance, der so gerne gebraucht wird, ist nicht selbsterklärend. Der Begriff Trance erklärt den Zustand Hypnose so wenig wie der Begriff Nebel eine Wolke. Hier nun der Versuch, die Hypnose auf der Grundlage des bisher Gesagten zu erklären:
Werfen wir dazu einen Blick auf die typische Hypnoseeinleitung, bei der Therapeuten auf Patienten treffen, die ihnen vertrauen.
Zunächst soll der Patient sich nur auf die Fingerspitze des Therapeuten konzentrieren und auf dessen Stimme. Sodann sagt der Therapeut dem Patienten "Erscheinungen und Gefühle" voraus, die dieser so nicht erwartet. Dass die Augen beginnen zu brennen, dass das Bild verschwimmt, dass die Augen müde werden, die Lider schwer wie Blei, dass sich die Augen schließen wollen und schließlich auch schließen dürfen.
Diese Erscheinungen und Gefühle sind zwar eine natürliche Folge der starren Fixation, aber sie kommen im Alltagsleben nicht vor. Es gibt dazu keine Erfahrungen und daher keine urverstandliche Bedeutungsgebung, die von dem Patienten wahrgenommen wird. Dafür aber ist der Rapport des Therapeuten wahrnehmbar, der all diese Gefühle und Erscheinungen klar voraussagen kann. Besser, als der autonome Urverstand, den der Patient zwar begrifflich nicht kennt, dessen ständig wahrgenommenen Urteilen er aber im Leben unbewusst ständig vertraut.
Der Zweck des eben beispielhaft geschilderten Vorgehens liegt auf der Hand:
Der autonome Urverstand des Patienten soll durch ein Erleben, das im Alltag so nicht vorkommt, in einer Weise getäuscht werden, die es dem Therapeuten möglich macht, scheinbar treffsicherer zu sein als dieser Urverstand.
Das führt zunächst dazu, dass die wahrnehmungsbegleitenden Schlüsse des Urverstandes weniger Beachtung durch den Patienten erfahren. Er konzentriert sich auf den Rapport. Durch weitere Suggestionen ist es dann möglich, dass der Patient die Wahrnehmung seines Urverstandes sukzessive und freiwillig "aufgibt", während der Therapeut vorsichtig und stufenweise die Rolle des zurückgedrängten Urverstandes übernimmt.
Therapeut und Patient bringen so, ohne dass es der Patient will oder bemerkt, dessen Urverstand ‚zum Schweigen' und es kommt dann zu einer Bewusstseinslage ähnlich der beim Schlaf. Der Patient schläft aber nicht, sondern sein Denken ist hellwach, nur der Urverstand schweigt. Und wenn man so will, ist der Hypnotisierte nun der älteren Hälfte seines Geistes, des Urverstandes, ‚beraubt', ohne es zu bemerken.
Der Patient glaubt zwar, dass er über volles Bewusstsein verfüge, doch in Wahrheit erlebt er nur ein Scheinbewusstsein, denn der Gegenpol seines Denkens ist nicht mehr sein autonomer Urverstand, sondern der Rapport des Therapeuten.
Was aber das Ersetzen des Urverstandes durch einen anderen bedeutet, das zeigt ein Rückblick auf die Rolle, die der Urverstand für den Menschen seit jeher spielt:
Der Urverstand ist die erste, von den eigenen Erfahrungen geprägte Welt– und Selbstbeurteilungsquelle, die dem Menschen zukommt. Er ist keine Fähigkeit, sondern das Erleben von Gedächtnisinhalten, die sich erfahrungsorientiert und raum-zeit-logisch kombiniert mit Wahrnehmungsinhalten als deren Bedeutung präsentieren. Mit diesem Urverstand lernen wir von Geburt an den Körper und dessen Fähigkeit einzuschätzen. Diesem Urverstand danken wir es auch, nur das zu erinnern, was von logikbestimmter Wichtigkeit ist, denn: Würden wir bei jeder Wahrnehmung jede Bedeutung erfahren, die die Wahrnehmung laut Gedächtnis für uns haben könnte, so wären wir zu keinem Verhalten mehr fähig.
Unter Hypnose fehlt nun diese urverstandliche Seite, und so ist es wenig erstaunlich, dass der Mensch dann zu belastenden Körperstellungen fähig ist und etwa mit Füssen und Kopf fast wie ein steifes Brett über zwei Stühlen liegt. Diejenige Komponente des Ich, die den Menschen in seine erfahrungsgemäße Physiologie zwingt, der Urverstand, schweigt zugunsten des Hypnotiseurs. Dessen Vorgaben steuern nun die Physis.
So erklärt ist es auch nicht erstaunlich, dass sich ein Mensch unter Hypnose als Hund fühlen kann. Er glaubt, bei vollem Bewusstsein zu sein, besitzt seine Denkfähigkeit, er kann sich aber gleichwohl nicht mit Zweifel betrachten, da sein Urverstand zugunsten des Rapports des Hypnotiseurs schweigt. Die einen Zweifel ermöglichende innere Polarität von Urverstand und Denken fehlt dem Hypnotisierten. Und sagt ihm der Hypnotiseur, er sei ein Hund, muss der Mensch dies so kritiklos wie in einem Traum glauben, hinnehmen und sich entsprechend verhalten, ganz ohne Zweifel zu haben.
So erklärt ist es auch nicht erstaunlich, dass das Gedächtnis des Hypnotisierten fast eidetische, die Vergangenheit bildgetreu reproduzierende Züge hat. Denn schweigt der Urverstand, so besteht für die sinnvolle Beschränkung der Wahrnehmung vorhandener Gedächtnisgehalte kein Anlass mehr. Das Gedächtnis kann nun in dem Umfange erlebt werden, wie es dem Therapeuten gelingt, Anknüpfungspunkte zur Vergangenheit zu finden, um sie als ein Konstrukt aus vorhandenen Bausteinen auferstehen zu lassen. Ein Konstrukt, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
So erklärt ist es auch nicht erstaunlich, dass Anweisungen, die unter Hypnose gegeben werden, noch lange Zeit später Wirkung entfalten können, denn der Therapeut gibt hier zu bestimmten Objekten der Wahrnehmung eine neue Verknüpfungslogik vor. Ein Eingriff in seinen Geist, den der Hypnotisierte in seinem singulären, kritiklosen Erleben nicht bemerkt und der bestehen bleibt. Folglich wird die Wahrnehmung eines entsprechenden Objektes im Wachzustand mit der vorgegeben Verknüpfung, zumeist eine Gefühlsbesetzung, erlebt.
Fazit: Hypnose ist keine Unterhaltung mit dem Unbewussten, wie manche glauben, denn mit einer Art von Mathematik lässt sich schlecht plaudern. Auch nicht in Bildern. Hypnose ist nichts anderes, als das Zulassen und das gesteuerte "Erzeugen" von Eindrücken, wie sie uns ähnlich auch im Schlaftraum erscheinen könnten. Träume, die dann als Wahrnehmungen, wie die Wachwahrnehmungen auch, unser Gedächtnis prägen und so über den Urverstand auch unsere waches Welt- und Selbstverstehen.
Von Bedeutung ist das vor allem, weil der Hypnotisierte im Traum über ein eidetisches Gedächtnis verfügt, mit dem er Zugang zu emotional schwerwiegenden Erlebnissen haben kann, die er sozusagen noch einmal durchlebt. Nun aber mit der Erfahrung seines bisherigen Lebens und unter Anleitung eines kundigen Therapeuten.
Das wiedererlebte Ereignis kann so in Hypnose neu bewertet werden, kann zu anderen Schlüssen führen, und oft genügt schon eine einzige Sitzung, um dem Patienten nach der Hypnose ein neues Lebensgefühl geben zu können. Nicht weil der das so will, sondern weil ihn sein gedächtnisbasierter Urverstand die Welt und sich selbst anders, anders bedeutet wahrnehmen lässt. Sinnvoller und sanfter kann eine Heilung des Geistes beim Menschen nicht erfolgen.
Hypnose ist also ein geleitetes Träumen. Ein geleitetes, durch den schweigenden Urverstand kritikfrei gestelltes, bildhaftes Denken. Ein Lernen aus kontrollierten Träumen, aus einem kontrollierten, angeleiteten Denken. Manchmal auch eine nachgeholte Erziehung, wenn man so will. Und Bildern kommt dabei in der Hypnose eine besondere Rolle zu, denn da Gedächtnisinhalte notwendig abstrakter Natur sind müssen sie zur Wahrnehmung immer in wahrnehmbare "Formen" überführt werden, um als Gedachtes neu erfahren zu werden, um damit arbeiten zu können. Und, das ist besonders wichtig:
So betrachtet, verliert die Hypnose ihren mystischen Charakter und sie erklärt sich in Ursache und Wirkung vollständig allein aus der hier aufgezeigten, eindeutigen Struktur unseres Geistes.
Quod erat faciendum.
Ein Rückblick mit zwanzig Jahren Abstand
© 2025 Dieter M. Schulz-Hoos, München
Zwanzig Jahre sind vergangen, seit ich diesen Text über Bewusstsein und Hypnose verfasste. Damals stand Ernst Poeppels 3-Sekunden-Regel noch am Rande meiner Überlegungen – eine empirische Kuriosität, die gut ins Bild passte, aber deren tiefere Bedeutung ich noch nicht erfasst hatte.
Heute, nach intensiver Auseinandersetzung mit der eleatischen Philosophie und den Grundlagen der Physik, erkenne ich: Poeppels Forschung zur zeitlichen Taktung des Bewusstseins liefert nichts Geringeres als empirische Belege für eine radikale metaphysische These, die bereits die vorsokratischen Eleaten ahnten und die ich in meinem physikalischen Modell weiterentwickelt habe:
Das Universum – und mit ihm unser Bewusstsein – existiert nicht kontinuierlich, sondern diskret.
Poeppel zeigte, dass unser Bewusstsein nicht kontinuierlich "fließt", wie wir es subjektiv erleben, sondern in diskreten Zeitfenstern organisiert ist:
30 Millisekunden: Die minimale Zeitauflösung für Gleichzeitigkeit – das kleinste wahrnehmbare "Jetzt"
3 Sekunden: Das subjektive Gegenwartsfenster – die maximale Spanne unmittelbarer Präsenz
Zwischen diesen Takten liegt etwas, das ich damals "Urverstand" nannte: eine unbewusste, blitzschnelle Integration von Wahrnehmung und Gedächtnis, die uns handlungsfähig macht, bevor das bewusste Denken überhaupt einsetzt.
Heute verstehe ich diesen Urverstand neu: Er ist die neuronale Maschinerie, die diskrete Existenzmomente zu einer scheinbar kontinuierlichen Erfahrung verschweißt. Nicht durch bewusstes Nachdenken, sondern durch autonome zeitliche Integration.
Und hier schließt sich der Kreis zu den Eleaten.
Die Eleaten – Parmenides, Zenon und ihre Nachfolger – lehrten vor 2500 Jahren eine auf den ersten Blick absurde These: Bewegung und Veränderung sind Illusionen. Was existiert, existiert absolut, zeitlos, unveränderlich. Die wahrgenommene Welt des Werdens ist Täuschung der Sinne.
Lange galt diese Lehre als überwundener philosophischer Irrweg. Doch die moderne Physik hat die Eleaten rehabilitiert – auf verblüffende Weise:
1. Die Relativitätstheorie zeigt: Es gibt keine absolute Zeit, kein universelles "Jetzt". Was "gleichzeitig" ist, hängt vom Beobachter ab. Zeit ist keine fundamentale Größe, sondern eine Perspektive.
2. Die Quantenmechanik enthüllt: Auf fundamentaler Ebene ist die Welt nicht deterministisch-kontinuierlich, sondern diskret und probabilistisch. Planck-Länge und Planck-Zeit (ca. 10^-43 Sekunden) könnten die kleinsten sinnvollen Raumzeit-Einheiten sein – diskrete "Pixel" der Realität.
3. Die Schleifenquantengravitation vermutet: Raumzeit selbst ist nicht kontinuierlich, sondern ein Netzwerk diskreter Ereignisse. Carlo Rovelli spricht von einer "relationalen" Physik: Nicht Dinge existieren in der Zeit, sondern Ereignisse konstituieren Zeit durch ihre Beziehungen.
Das eleatische Paradox löst sich so auf: Die Welt ist tatsächlich nicht kontinuierlich. Sie "existiert" in diskreten Takten – und was wir als Bewegung und Veränderung wahrnehmen, ist das Nacheinander dieser diskreten Zustände. Genau wie ein Film aus einzelnen Standbildern besteht, die erst durch die Trägheit unserer Wahrnehmung zu "Bewegung" verschmelzen.
Und hier wird Poeppels Forschung zur Brücke zwischen Physik und Bewusstsein:
Wenn das Universum tatsächlich in diskreten Takten existiert – sagen wir: auf der Planck-Skala von 10^-43 Sekunden –, dann ist unser Bewusstsein mit seinen 30-Millisekunden-Fenstern und 3-Sekunden-Integrationen nur ein grobes Echo dieser fundamentalen Diskretheit.
Das, was ich damals "Urverstand" nannte, wäre dann die neuronale Antwort auf ein kosmisches Problem: Wie baut man aus diskreten Existenzmomenten eine handlungsfähige Kontinuität der „Lebewesen" auf?
Die Antwort: Durch zeitliche Integration und Gedächtnis.
Die 30-Millisekunden-Fenster binden einzelne neuronale Ereignisse zu einer "Wahrnehmung"
Die 3-Sekunden-Integration bindet Wahrnehmungen zu einer "Gegenwart"
Das Gedächtnis bindet Gegenwarten zu einer "Biographie"
Das Ich entsteht als Muster über diese diskreten Momente hinweg
Das Ich ist somit keine Substanz, sondern eine Struktur. Es existiert nicht kontinuierlich, sondern wird in jedem Moment neu erzeugt – und durch Gedächtnis zur Illusion einer kontinuierlich lebenden und denkenden Person verknüpft.