Wer eine Kerze entzuendet, sieht zunaechst nur eine ruhige Flamme. Doch eine Kerze ist kein einfaches Objekt: Damit sie gleichmaessig brennt, muessen Docht, dessen Flechtung und die Wachsmischung, Schmelzpunkt, Kapillarwirkung und Verbrennungscharakteristik praezise aufeinander abgestimmt sein. Jahrhunderte lang haben Menschen dieses Zusammenspiel verfeinert.
Die Altarkerze etwa ist ein kleines technisches Meisterwerk, das wir kaum wuerdigen.
Auf der Erde zeigt die Flamme ein vertrautes Bild: tropfenfoermig und nach oben gezogen, mit sichtbarem Gelbanteil. Dieses Bild entsteht jedoch nicht durch die Verbrennung selbst, sondern durch Konvektion – ein Phaenomen, das ein kontinuierliches Medium und die Wirkung der Gravitation voraussetzt. Nur durch den Auftrieb, der aus Dichteunterschieden im Schwerefeld resultiert, steigt heisse Luft auf und kaeltere stroemt nach.
Entfernt man die Gravitation, entfaellt dieser Mechanismus vollstaendig. In der ISS, wo zwar ein Gas als Kontinuum vorhanden ist, aber kein Auftrieb gegen eine dort kompensierte Gravitation wirkt, verliert die Flamme ihre gewohnte Form. Sie wird kugelfoermig, blaeulich, russarm und fast vollkommen symmetrisch. Eine „Flammkugel“ ist kein exotisches Kunstobjekt, sondern die elementare Form der Verbrennung, wenn gravitationsinduzierte Emergenzen verschwinden.
Die Flammkugel zeigt das Phaenomen in seiner Grundgestalt.
Dieser Gedanke laesst sich weiterfuehren. Wir halten viele Erscheinungen fuer „natuerlich“, weil sie uns aus dem Alltag oder auch der Forschung vertraut sind. Doch oft sind es nur Sonderfaelle, die durch Bedingungen entstehen, die wir gar nicht bemerken, weil wir mit ihnen aufgewachsen sind oder sie schlicht voraussetzen. Erst wenn diese Bedingungen entfallen, zeigt sich die verborgene, der Wirklichkeit zugrunde liegende Struktur – und wir koennen Fortschritt im Denken erzielen.
Das erfuhr auch der Physiker Max Planck um Weihnachten im Jahre 1900. Planck wollte das Strahlungsspektrum des ideal gluehenden (schwarzen) Koerpers erklaeren. Die klassische Physik scheiterte daran, weil sie stillschweigend von Annahmen ausging, die fuer diesen Extremfall nicht gelten: Kontinuitaet der Energie, eine unbegrenzte Teilbarkeit, fehlerfreie „Bewegung“, die aus dem Gluehen eine Strahlung machen sollte.
Erst als Planck diese gewohnten Vorstellungen bewusst zurueckstellte und nur das beibehielt, was logisch zwingend war, blieb ein diskretes Energieelement uebrig – das Quant, das den Ort nicht kontinuierlich (durch Bewegung) veraenderte. Die „Ultraviolettkatastrophe“ der klassischen Physik bei Betrachtung des idealen Strahlers verschwand nicht durch zusaetzliche Komplexitaet, sondern durch den Wegfall von gewohnten, aber falschen Annahmen: kontinuierliche Energieabgabe und Ortsveraenderung der Energie.
In meinem ELEA-Modell gilt ein verwandter Ansatz. Auch dort verschwinden bei genauester Betrachtung die scheinbar selbstverstaendlichen Elemente der klassischen Physik – kontinuierliche Bewegung, Masse als Substanz und eine reale Raumzeit als eine Art von „Gewebe“. Uebrig bleibt ein diskretes Muster zeitlicher Existenzdichten ohne den gewohnten Deutungsrahmen. Keine exotische Erweiterung, sondern eine Bereinigung – das ist der Kern des ELEA-Modells:
Eine Physik ohne die Emergenzen, die wir fuer Grundstrukturen gehalten haben.
Vielleicht ist dies eine Geschichte, die man zu Weihnachten erzaehlen darf. Nicht die vertraute Erzaehlung vom Stall mit Ochs und Esel und „Jesuskind“, sondern der Hinweis, dass Klarheit oft dann entsteht, wenn man das Gewohnte beiseitelaesst. Dass Erkenntnis erst moeglich wird, wenn Emergenzen verstummen. Und dass wir uns selbst nicht unterschaetzen sollten, wenn wir mit unserem Denken versuchen, hinter die vertrauten Bilder zu sehen.
Dafuer braucht es weder Festtagsrhetorik noch Pathos – nur die Bereitschaft, eine Kerze einmal anders zu betrachten. Denn letztlich duerfte es nicht unsere Aufgabe in dieser Schoepfung sein, ein Jesuskind anzubeten. Wir alle sind letztlich „Jesuskinder“. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, diese Schoepfung zu erleben, sie zu erhalten und mit unserem Denken zu Raeumen vorzudringen, die uns eines Tages die Groesse dieser Schoepfung als erlebte Wirklichkeit offenbaren werden. Daran duerfte „dann“ auch die Ursache dieser Schoepfung ihre Freude haben.
Frohe Weihnachten 2025