Müllersche Fasern – Resonatoren zwischen Licht und Welterleben

Der folgende Text wendet Einsichten aus dem auf dieser Seite vorgestellten ELEA-Modell auf die Frage an, warum wir mit jenen Ausstülpungen unseres Gehirns, die wir Augen nennen, überhaupt eine Welt sehen. Dabei wird nicht vorausgesetzt, dass das Licht, das in unsere Augen fällt, bereits fertige, bunte Bilder der Außenwelt auf der Netzhaut abbildet.

Die Müllerschen Fasern – radialsymmetrisch angeordnete Gliazellen der Retina – galten lange Zeit lediglich als Stützstruktur des empfindlichen Netzhautgewebes. Heute weiß man, dass sie weit mehr sind. Sie bilden ein optisch wirksames System: feine, zylindrische Leitstrukturen, die einfallendes Licht nahezu verlustfrei durch die neuronalen Schichten der Netzhaut führen. Untersuchungen zeigen, dass sie sich wie biologische Lichtleiter verhalten, mit wellenlängenabhängiger Führung und hoher struktureller Kohärenz – ein bemerkenswert präzises System lebender Optik.

In der gewohnten Vorstellung fällt „das Bild“ der Außenwelt auf die Netzhaut, so wie Licht auf einen Film oder einen Sensor trifft. Doch das Auge arbeitet nicht wie eine Kamera. Das Licht trägt keine fertigen Bilder, sondern zeitlich strukturierte Information:

Muster periodischer Energie, die erst im Zusammenspiel mit neuronalen Prozessen zu einer räumlichen Wahrnehmung werden. Zwischen dieser strukturierten Energie und der neuronalen Verarbeitung stehen die Müllerschen Fasern. Sie bündeln und ordnen und strukturieren die eintreffenden Schwingungen räumlich-zeitlich, bevor diese auf die Photorezeptoren treffen.

Damit wird das Auge zu einem Resonanzorgan im eigentlichen Sinn. Die Müllerschen Fasern übersetzen das physikalische Schwingungsmuster des Lichts in eine geordnete Sequenz biologischer Reizimpulse. Sie bilden die Schwelle, an der äußere Energie in innere Form übergeht – wenn man so will: einen Übergang von photonischer Ordnung zu neuronaler Kohärenz.

In diesem Verständnis sind die sogenannten Sehzellen keine Empfänger von Bildern, sondern Analysatoren von Mustern mit zeitlicher Struktur. Genauer: von Mustern zeitlicher Dichte, die dann entstehen, wenn Energie gleiche Orte mehrfach in Folge besetzt. Bereits im Auge werden damit räumlich orientierten Informationen zeitlich orientierte hinzugefügt. Zeitliche Dichten übernehmen hier eine Rolle, die im einsteinschen Weltbild der Annahme einer Raumzeit zukommt.*

* Ohne die Annahme einer verformbaren Raumzeit fehlte Einstein die Möglichkeit, Gravitation ohne die Einführung einer Kraft zu beschreiben. Ohne die Annahme zeitlicher Dichte – der Mehrfachbesetzung gleicher Orte bei einer Störung – fehlt der Physik bis heute eine ontologisch befriedigende Begründung der Trägheit.

Was wir schließlich als Bild erleben, ist das statistisch verdichtete Resultat dieser rhythmischen Vermittlung räumlich und zeitlich organisierter Informationen. Das Auge liefert damit nicht einfach eine Projektion der Welt an das Gehirn, sondern bereits eine erste Interpretation. Ähnliche Prinzipien dürften auch bei anderen Lebewesen wirksam sein, wenn auch auf jeweils anderer Grundlage – etwa bei den Segmentaugen der Insekten.

Die Müllerschen Fasern formen somit das Eingangstor des Weltverstehens. Sie bringen das Licht in jene Ordnung, in der das Gehirn überhaupt einen kohärenten Welteindruck erzeugen kann. Der alte Satz „wir sehen mit den Augen“ erhält so, trotz der Erkenntnis, dass Augen ohne Gehirn wenig leisten können, eine unerwartete neue Berechtigung.

In diesem Sinn wirken die radialen Muellerschen Fasern als biologisvch aktiver Teils unseres Sehapparates wie ein biologischer zwischen optischer und vegetativer Information. Sie sorgen also nicht nur dafür, dass aus Licht ein stabiles Bild entsteht, sondern auch dafür, dass der Organismus als Ganzes kohärent auf Licht reagiert – auf Tag und Nacht, auf Farbe und Intensität. Und dies auch abhängig von der inneren Gestimmtheit. - "Alles rosa, oder was?"

Sehen erscheint damit als der Sonderfall einer weit allgemeineren Lichtwahrnehmung. Über Photopigmente wie Melanopsin, über Cryptochrome und über photochemische Prozesse in Haut und Gehirn reagiert der Mensch auf Licht weit über das Visuelle hinaus. Das gesamte System bildet eine sehr fein abgestimmte Resonanzarchitektur: Das Licht moduliert nicht nur Wahrnehmung, sondern auch Stoffwechsel, Stimmung, Schlaf und zeitliche Orientierung.

Das Leben ist somit weit komplexer organisiert, als es scheint, wenn man lediglich Körper, Organe oder Sinnesorgane betrachtet. Unsere oft schlichten Vorstellungen vom eigenen Sein entstehen vor allem daraus, dass wir an emergente Strukturen gewöhnt sind – an die fertigen Resultate extrem komplexer Zusammenhänge - und nicht an deren komplexe, innere Logik.

In einem bewusst überzeichneten Bild:

Wir glauben, ein Block Eisen, der warm ist und nach Öl riecht, sei bereits der Motor, der uns Autofahren lässt. Tatsächlich liegen zwischen dem warmen Eisenklotz und der funktionierenden Maschine Welten. Doch unsere Vorstellungen von den Funktionen eines wahrnehmenden, ja bewussten Körpers sind noch ungleich weiter von der Wahrheit entfernt. - Lichtjahre!

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